Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Symbolik §57

§57. Die Versöhnung durch Christus. Christi Person. Der Anschluss an die kirchliche Vergangenheit

1) Die Lehre vom Werke

Voraussetzung für die praktische und theoretische Darstellung des Gedankens der Rechtfertigung bildet bei den Reformatoren und in den Symbolen die Versöhnungslehre. Überall wird sie als selbstverständliche Bedingung vorausgesetzt und daher selten lehrhaft erörtert. So finden namentlich die Fragen a) wie die Genugthuung Christi in der Richtung auf Gott und auf uns zu unterscheiden und ihr Verhältnis zu einander zu ordnen ist; b) ob Gott durch Christus mit dem ganzen sündigen Geschlecht oder mit der Gemeinde der Gläubigen versöhnt worden ist; c) in welchen Verhältnissen die Versöhnung der Vielen mit der Rechtfertigung des einzelnen entsteht finden keine Beantwortung. Dennoch gehen Andeutungen, welche in den Bekenntnis{?} sich finden in wichtigen Beziehungen über die im Mittelalter {beruhenden} Auffassungen hinaus

Kommt man von der Scholastik zur Reformatorischen Theologie, so fällt der Wegfall der Spekulation über die Satisfaction auf, die in der Sakramentslehre gar nicht verwendet wurde. Im 16. Jahrhundert wird wenig speculiert, die Versöhnungslehre vorausgesetzt, dafür genau und gründlich die [184] Aneignung behandelt. Für die Reformation war Christi Werk selbst Hauptsache. Tod Christi. Christus der Gekreuzigte, das ist ohne viele Worte der Grund unserer Versöhnung. hostia [?] erlöst durch sein Blut und sein heiliges Sterben.

Jene 3 Fragen werden nicht besonders lehrhaft erörtert. Im kleinen Katechismus ist von der Richtung der Versöhnung auf Gott nicht die Rede.

Es finden sich aber folgende Anknüpfungspunkte in den Symbolen:

1) Die Reformatoren haben die mittelalterliche Voraussetzung abgethan, als ob das sittliche Verhältnis zwischen Gott und den Menschen den Charakter eines privatrechtlichen habe und die Sünde mithin nur der Wert der Beleidigung einer sehr hoch stehenden Privatperson zukomme. Sie setzten vielmehr den Inhalt des Sittengesetzes mit dem wesentlichen Willen Gottes identisch und bekennen demgemäss dass sofern alle Sünde Sünde an Gott ist sie eben deshalb der Bruch der Autorität und Reichsordnung Gottes sei. Damit sind sie über die mittelalterlichen Auffassungen von einer blos relativen Notwendigkeit und Zweckmässigkeit der Versöhnung durch Christus zu der Überzeugung von der Notwendigkeit dieser Versöhnung fortgeschritten.

Im Katholicismus ist der Mensch wesentlich als Partner Gottes gedacht (daneben in der Mystik: nichts neben Gott) so operierte Anselm der aber die Notwendigkeit der Versöhnung festhalten will und von der Sünde strenger denkt. Die Reformatoren sehen in Gottes Ordnungen, in den höchsten göttlichen Kategorien Gottes Wesen. Daher in der Schuld die Sünde, den Bruch mit der Reichsordnung Gottes. Die Ehre Gottes ist seine Schöpfung, sein Reich. Daher haben sie nach der Kategorie der Notwendigkeit, nicht der Schicklichkeit, so wenigstens in den Symbolen. Luther spricht zuweilen von einem verborgenen Willen, den kein Mensch kennen kann, aus dem Gott zuweilen plötzlich heraushandelt. [185] Auch die Praedestination ist selten auf diesen verborgenen Willen zurückgeführt. Luthers de servo arbitrio ist eine reformatorische That, kein theologisches System. Sie hat nur den einen Zweck, den Semipelagianismus Erasmi zu stürzen.

2) Unter den versch. Gesichtspunkten, welche die Mittelalterliche Theologie für die Beleuchtung des Wortes Christi aufgestellt hat, haben die Reformatoren folgerecht den des stellvertretenden Strafleidens zum authentischen erhoben.

Die verschiedenen scholastischen Kategorien sind 12-15 in verschiedenen Beziehungen zu einander. Dabei ist sie sich nie klar darüber, welche die oberste ist. Anselm nur hat die Stellvertretungsidee hervorgekehrt, am {bevorzugtesten} ist meritum Christi. Die Reformatoren sagen, er hat unsere Schuld dadurch gesühnt, dass er die Strafe auf sich genommen hat. Soviel ist sicher, dass unter denn aufgestellten Gesichtspunkten keiner so entspricht dem Zustand der Sünder als dieser, es giebt keine tiefere und zugleich näherliegende Form. Diese Form ist im Mittelalter sehr selten, auch bei Anselm nicht.

3) Allerdings beziehen die Reformatoren die Versöhnung zunächst auf Gott näher auf die Beseitigung des göttlichen Zorns aber in den Symbolen tritt viel stärker der Gedanke hervor, dass Zweck und Resultat der Versöhnung die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen sei, namentlich bei Calvin ist der Gedanke finis reconciliationis ecclesia der Hauptgedanke seiner Theologie.

Luther ergeht sich oft in dem Gedanken des Zornes Gottes, jedenfalls eine tiefe Form, zur Psychologie der Schuld gehört der Zornesgedanke. Besonders in den reformierten Symbolen, aber auch bei Melanchthon spielt die Hauptrolle der Gedanke, dass die reconciliatio zunächst eine ecclesia schafft in der dann die Einzelnen die Rechtfertigung erlangen. (Gr. Kat. Kl. Kat. Mel. elem. doctr. phys.) [186]

4) Mit der Behauptung der unumgänglichen Notwendigkeit der Versöhnungsthat Christi tritt der Gedanke in engster Verbindung auf, dass sie nach ihrem Umfang ebenso abgeschlossen und ergänzungsunfähig wie in ihrer Bedeutung zureichend und vollkommen ist. Damit sind die mittelalterlichen Unsicherheiten und Schwankungen aufgehoben.

Die Reformatoren haben kein Interesse mehr daran, über abundans superabundans u.a. zu handeln. Die Rechnerei hört auf und auch die Wiederholung des Opfers in der Messe. Damit wird das Wort Christi herabgesetzt. Es handelt sich nicht um eine Leistung. Durch [!] die Aesthetik stammt die Verminderung des Werkes Christi in der Wiederholung des Opfers.

5) Wird das genugthuende Wirken Christi zunächst in seinem Todesleiden anerkannt oboedientia passiva, so wird in der FC. doch auch auf das ganze Lebenswerk und die positiver Gesetzeserfüllung reflectiert (oboedientia activa) und der Heilswert desselben behauptet. Damit ist diejenige Betrachtung des Todes Christi aufgehoben, welche den Wert desselben nur in dem Gegensatz zu dem gottmenschlichen Leben des Erlösers festzustellen vermochte.

Die Einführung der oboedientia activa ist ein hervorragender Schritt über die griechische Kirche, die nur die Geburt und die römische Kirche, die nur den Tode betont hinaus. Bei Luther ist es als einfacher Glaubensausdruck vorhanden, in der FC. lehrhaft ausgeführt, aber nicht in ganz richtiger Weise. Die oboedianita activa kann nicht stellvertretend sein, die FC. kam aber aus dem Schema der Stellvertretung nicht heraus. Die oboedientia activa kann nur den Sinn haben, dass die ganze Person Christi uns ergreift und so die Brücke und Bürgschaft wird, Gott zu erkennen. In der oboedientia activa liegt die ganze Bedeutung der Person. Die FC. ist also auf richtiger Spur, sofern sie nicht nur den Tod betont. Erst seit dem 18. Jahrhundert kennt man philosophisch die Bedeutung einer Gesamtperson in ihrer geistigen Einwirkung, nicht in Einzel-[187]heiten, sondern in der Zusammenfassung aller Momente der geistigen Person. Gemeine Personen zahlen mit dem was sie thun, edle mit dem was sie sind. Bei uns ist jetzt die Schätzng des Personlebens ganz allgemein üblich.

6) Letztlich ist noch ein wesentlicher Unterschied zwischen Luther und der Katholischen Theologie vor ihm darin zu finden, dass er Gottheit und Menschheit in Christus in eine Einheit gesetzt hat, wie niemand vor ihm und hier mit aller Klarheit erkannt und verkündet hat, dass jede auch die leiseste Zertrennung der beiden Naturen die Bedeutung der Person vernichtet.

Hiermit sind wir zur 2. Hälfte übergegangen. Luther, und bis zur Conc. Form. hin ist das erhalten, hat einen bislang unerhörten Nachdruck darauf gelegt, dass in jedem Moment die vollkommene Einheit beider Naturen festzuhalten sei. Da er im alten Schema der 2 Naturenlehre blieb, so kam er zu den paradoxesten Sätzen. Die Menschheit Christi sei nach der Erholung so allgegenwärtig und allwissend wie die Gottheit. Der Grundgedanke aber ist wohl verständlich und nachahmenswert. Die kleinste Spaltung der 2 Naturen perhorresciert er als Bruch des Christentums.

2) Die Lehre von der Person Christi

Die Reformatoren haben sich im allg. an die Überlieferung der alten Kirche angeschlossen. Von dieser Beobachtung aus wird von der Orthodoxie mit einem nicht geringen Schein des Rechts gefolgert, dass man nur auf dem Boden der Reformation stehe, wenn man sich dazu bekenne. Aber an unzählig vielen Stellen hat Luther, Melanchthon in den loci von 1521 und Calvin in der ersten Zeit, vereinzelt auch in der späteren Zeit den Satz behauptet: alle Betrachtung der Person Christi hat auszugehen von den beneficia (Freiheit des Christenmenschen, C.Aug. 24, Apol. ). Die griechische Kirche hatte die Naturenlehre von den beneficia Christi aus entworfen, worunter sie die Vergottung unserer Natur verstand. Die beneficia aber nach evangelischer Anschauung sind remissio peccatorum, somit hat Christus nur Bedeutung für uns sofern er uns diese bringt, wir sollen an seiner Person Gottes sicher werden. Das führt nicht auf die 2 Naturenlehre, wenn man auch über seine Constitution spekulieren kann und eine Erhebung der ganzen Natur durch ihn erhoffen. man steht auf dem reformatorischen Boden, wenn man auch in dem Ausdruck der 2 Naturenlehre eine Verkehrung sieht. Luther stand im heissen Kampf mit der pelagianischen Scholastik und ihrer Lehre von guten Werken. In dem alten Symbol war nun von Werken nicht die Rede, nur vom Glauben und schliesslich besonders von der remissio peccatorum, worauf er alles bezog. Luther hat dabei nie den Übergang von beneficia zu Person genau durchdacht. Im AT. glaubte er die metapyhsische Gottheit Christi ausgedrückt zu finden. Daher hatte er keine Veranlassung sich von den alten Symbolen abzuwenden. Wir sehen die Gottheit Christi in seiner Person, während die alte Kirche sie in den psychologisch somatischen Teilen sah. Wir sagen mit Luther Christus sei der Spiegel Gottes. Es ist uns nicht zu hoch geredet von Christus, es giebt keine höhere Aussage als dass ich auf ihn traue.

Bei Melanchthon und Calvin kommt der Gegensatz zu den Antitrinitariern hinzu, bei ersterem speziell noch das Bestreben sich als katholisch zu erweisen. Calvin's Fanatismus zeigt gerade, dass er innerlich nicht ganz gebunden ist.

Zwingli behauptete es sei doch nötig, die göttliche und menschliche Natur an gewissen Punkten zu trennen. Er hatte sich nicht so religiös vertieft und das grade erkannte Luther.

Zum Seitenanfang