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Symbolik §26

§26 Die organisierenden Grundideen in der römisch-katholischen Auffassung des Christentums

I Das Heil, welches im Christentum gesucht und dargeboten wird, erscheint doppelt [74] beschrieben 1) als das ewige Leben und die Seligkeit für den einzelnen, wie es erreicht wird durch die aus dem Glauben und der Liebe fliessenden Verdienste, 2) sodann als die auf Erden sichtbare Kirche, die als der Organismus des Heiligen und Guten auf Erden oder als das Reich Christi Gegenwart und Zukunft, Himmel und Erde, Lebende und Verstorbene umspannt.

II a. Die Kirche ist nicht nur verbürgende Autorität des Heils (evangelio non crederem, nisi me commeveret ecclesiae auctoritas, Augustin) oder erziehende Heilsschule, oder mitteilende Heilsanstalt (extra ecclesiam nulla salus), sondern sie ist der gegenwärtige Organismus des Heils selber (Christus setzt sich in der Kirche fort), die Fortsetzung Christi, d. h. die Darstellung und Auswirkung seiner gottmenschlichen Persönlichkeit, mithin Weg Wahrheit Anstalt und Schule zugleich. daher auch Glaube an die Kirche. Als solche hat sie die Aufgabe, die Menschheit zu einer heiligen Gemeinschaft des Guten umzugestalten und so zu Gott zu führen. Die empirische römisch-katholische Kirche ist mit dieser Kirche identisch, und zwar sowohl sofern sie die Sakramente, die Gnadenmittel, besitzt, als sofern sie regiert, Jurisdiktion übt. Beides aber, Gnadenmittel und Regiment, ist an das von Christus gestiftete, durch die Apostel übertragene Amt geknüpft, an die Hierarchie, die den eigentlich selbständigen Teil der Kirche bildet. Die Hierarchie aber gipfelt nicht nur in dem sichtbaren Statthalter Christi, dem unfehlbaren Papste, sondern hat ihren Beruf, Auftrag und Macht von ihm; somit ist er der Herr, ja der sichtbare Repräsentant der Kirche und ihrer Eigenschaften. Gehorsame Unterordnung unter den Papst ist identisch mit gehorsamer Unterordnung unter die Kirche, ja selbst unter Christus. Von hier aus sind die Lehre von den Eigenschaften der Kirche, von der Repräsntation derselben, der Tra-[75]dition und den Sakramenten zu beleuchten und zu verstehen. Sie sind andere gewoerden als im alten katholicismus.

II b. Die Heilsbeschaffung, Versöhnung, Heilsaneignung und Gerechtmachtung

Die römische Kirche geht in der Lehre vom Heil davon aus, dass der Widerspruch des Willens, der zwischen Gott und dem natürlichen Menschen besteht, zu beseitigen ist, dass somit die Sünde als böser Wille des Menschen überwunden und der gerechte Zorn Gottes versöhnt werden muss. Die Kirche hat sich daher nicht mit einer Erlösungslehre begnügt, sondern sie hat in den Mittelpunkt gestellt die Versöhnung Gottes durch das genugthuende Opfer Christi und die daraus fliessende Gerechtmachung des Menschen (Justificatio).

Der Gedanke der Rechtfertigung ist also durch den Gedanken des meritum Christi beherrscht, so jedoch, dass dieses meritum als gratia verliehen, notwendig gute Werke seitens des Menschen hervorruft. Ein System von Leistungen Gottes an dem Menschen und ein System von dadurch bedingten Leistungen des Menschen an Gott wirken zusammen und der Mensch erscheint nur soweit, solange und in dem entsprechenden Maasse gerechtfertigt, d. h. gerecht gemacht, als er sich weniger oder mehr von der Gande erfüllen lässt und Leistungen der Liebe darbietet. Hieraus folgt, dass Glaube und Werke doch in ein Verhältniss der Coordination fallen, wenn auch im Ansatz die Befähigung zu Werken aus der Gnade abgeleitet wird. Anders ausgedrückt: die Kirche beginnt in ihrer Orientierung über das Christentum damit, das sittliche dem religiösen unterzuordnen, aber am Schluss erscheint das umgekehrte Verhältnis. Wenn aber die Kirche am Schluss dieses Schema wiederum corrigiert, so kehrt sie zu der altkatholischen Auffassung zurück, dass im diesseitigen Leben selbst in der justificatio nur ein vorläufiges Heilsgut erreicht werden kann, und dass das jensei-[76]tige Heilsgut seiner specifischen Art nach von dem gegenwärtigen verschieden ist.

Die Kirche ist so sehr reich und kann je nach Bedarf den Menschen auf ganz verschiedene Wege weisen. Es sind drei Zweckgedanken: die Kirche, die Rechtbeschaffenheit und das ewige Leben. Dies macht sie so stark, sie kann alle menschlichen Stimmungen zusammenschliessen.

Eindeutig ist nur die Lehre von der Kirche, die anderen Lehren der Kirche gehen in sehr verschiedene Linien auseinander.

Zusatz: Daraus folgt bezüglich des Weltverhältnises dieser Kirche, dass sie die weltlichen sittlichen Aufgaben bis zu den politischen hin bejaht und in ihren Dienst nimmt, aber sie will sie selbst betreiben, nicht in Anlehnung an irgend ein Staatswesen. Sagt man ihr aber, dass sie damit selbst ein Stück Welt wird, wenn sie weltliche aufgaben als Kirche selbständig führen will, so antwortet sie entweder: Jesus Christus hat der Kirche auch die Regierung übertragen; oder: wir betreiben die weltlichen politischen Aufgaben, um die Welt von der Welt zu befreien. Mit diesen beiden Tönen wird gewechselt nach Bedarf, so z. B. sehr sophistisch von Gregor VII. und seinen Freunden. Von dem letzteren Gedanken hat sich Franciscus bestechen lassen. Der mundus soll das saeculum abstreifen. - Die griechische Kirche trennt sich ganz von der Nationalität.

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