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Symbolik §43

§43. Die Lehre vom Gesetz und von den Werken

Gott handelt mit uns durch Gesetzgebung und Gnadenspendung. nach dem Sündenfall muss immer zuerst Gnade eintreten. Ist der Mensch gerechtfertigt so ist er imstande das göttliche Gesetz pro huius vitae statu zu erfüllen. Die göttliche Gnade ist dabei die Sphaere oder Kraft des Thuns. In der observatio legis besteht der active Character des Christen, sie ist das Complement zur passiven Hinnahme der sacramentalen Gnade. Die divina lex ist statutarisch die Summe aller denkbaren guten Gebote. Der Umfang des Gesetzes ist in jedem Moment für jeden ein unendlich Gutes. Damit scheint das Sittengesetz in denkbar höchster Form in Geltung gesetzt zu sein. Aber als ein statutum von unendlich vielen Geboten ist seine Heiligkeit und Autorität abgeschwächte. Denn

  1. einem so gefassten, gar nicht begrenzten Gesetz gegenüber fallen die kleinen, venialen Verstösse nicht so schwer ins Gewicht.
  2. Der Probabilismus in der Ethik, heute geradezu officiell, seit Alfons von Liguori, lehrt jede einzelne sittliche Forderung in dem Sinne verstehen, wo ihre Erfüllung am leichtesten ist, wenn der Wortlaut gewahrt ist.
  3. Man soll gute Werke thun um das ewige Leben zu empfangen. Dies Motiv schwächt die Forderung ab.
  4. Die stärkste Abschwächung zeigt sich in der Unterscheidung von praecepta und consilia Divina. Also das Gesetz umfasst nicht das höchste und beste Gute, sondern nur das Minimum. Jenes mutet Gott [121] nicht zu, sondern rät es nur an. Damit ist der Inhalt der lex Divina nicht mehr das Gute, sondern ein - möglichst geringes - Gutes, das man braucht um in den Himmel zu kommen.
  5. Die consilia evang. ermöglichen opera supererogatoria, welche Gott überraschen, da sie mehr leisten als er verlangt.

Der Probabilismus, von Jesuiten aufgebracht, von Pascal zurückgedrängt, durch Alfons von Liguori wieder belebt, ist jetzt officiell. Allen Formen liegt der Gedanke zu Grunde, das man sich mit einem minder sicheren Weg begnügen kann, wenn dafür sich Autoritäten finden lassen. Dies führt zu den schlimmsten Folgerungen. Es gilt, man darf keinen Meineid schwören und als Meineid gilt jeder, bei dem eine reservatio pure mentalis ist, nicht wo die reservatio bloss mentalis ist, d.h. mit dem Wortlaut Zusammenhang hat (cf. Döllinger und Reusch, Moralstreitigkeiten). Alfons selbst war dabei ein peinlich genauer moralischer Mensch.

Der Unterschied zwischen praecepta und consilia ist die Rechtfertigung für den katholischen Mönchsstand, sie beziehen sich auf die Abstreifung des geschlechtlichen Wesens, der irdischen Güter und der eigenen Ehre. Gewiss ist das bei vielen, wenn freiwillig, dem Amte zuliebe, sehr gut. Aber es wird verkehrt durch die Verdienstlichkeit. Der Katholicismus kennt den Gedanken des irdischen Berufs als göttliche Ordnung nicht. Dann ist es eine vermessene Kühnheit lebenslängliche Gelübde zu verlangen und abzulegen.

Moehler sucht auch hier das Mönchtum zu idealisieren. Es ist Erzeugnis der in der Hingabe an Gott erfinderischen Liebe. Die praecepta umfassen das ganze Gesetz. Die consilia entsprechen nur der brennenden Liebe.


Literatur

Geschichte der Moralstreitigkeiten in der römisch-katholischen Kirche seit dem sechzehnten Jahrhundert mit Beiträgen zur Geschichte und Charakteristik des Jesuitenordens. Auf Grund ungedruckter Aktenstücke bearbeitet und herausgegeben von Ignaz von Döllinger und Fr. Heinrich Reusch. Nördlingen 1889

Johann Adam Möhler (1796-1838), Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften. 1832 (6. Aufl. 1873)

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