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Symbolik §55

§55. Die Rechfertigung durch Christus im Glauben

Loofs, Studien und Kritiken 1884, 613ff (einige Fehler berichtigt Eichhorn 1885 [recte: 1887])

»Mittelpunkt und Wesen des evangelischen Christentums ist die Erfahrung dass man als Christ den Frieden mit Gott und damit die Sicherheit des Heils und der Seligkeit allein besitzt aus Gnaden um Christi willen im Glauben. Diese Erfahrung wird theologisch ausgeprochen in dem Bekenntnis von der Rechtfertigung, welches vollständig so lautet:
Gott spricht die Menschen gerecht nicht um ihrer Verdienste oder Werke willen, sondern aus Gnaden und umsonst um Christus willen, d.h. um des Werkes Christi willen per fidem (nicht propter fidem), d.h. er vergiebt den Gläubigen um [174] Christus willen die Sünden und sieht sie als Brüder Christi an, d.h. rechnet ihnen die Gerechtigkeit Christi zu und zwar betrachtet er sie nicht als gerecht, sondern in dem Glauben, den er giebt sind sie durch ihre Freudige Zuversicht seine Kinder und diesen Glauben zieht Gott in betracht indem er die Sünde bedeckt. Nach der ursprünglichen Vorstellung der Reformatoren verhalten sich Glaube und Rechtfertigungsbewußtsein nicht wie Ursache und Folge, sondern in der donatio fidei vollzieht sich eben die imputatio iustitiae Christi und damit die Rechtfertigung. Nach späterer Auffassung, die freilich schon früh in den Symbolen bei der Kirche hervortritt, wird allerdings die fides als die Bedingung angesehen, auf welche die Rechtfertigung als forensischer Act Gottes erfolgt. Diese Betrachtung die zum Glück nie consequent entwickelt ist, führt consequent entwickelt in den Katholicismus zurück.«

Gewöhnlich wird es so dargestellt, dass es sich hier um einen einmaligen Act handelt, der im Himmel von Gott vollzogen wird unter der Bedingung zu Glauben. Aber in O Apol und noch mehr in den älteren Lehren Luthers wird die Rechtfertigung so enge mit der donatio fidei zusammengenommen, dass sie eigentlich in dieser besteht. Nach der üblichen Fassung bedarf es immer eines gewissen Sichhinquälens zum Glauben an eine objektive Veranstaltung. Nichts ist weiter von der ursprünglichen Meinung Luthers entfernt. Es ist beibehalten die katholische Aufassung, dass Gott transzendent objektive die Möglichkeit gegeben hat, daneben beginnt dann selbständig die eigne religiöse Thätigkeit. Dann ist auch der Glauben als Apetitio wieder eins unter anderen Momenten, herausgebracht aus der centralen, allumfassenden Stllung, die ihm Luther vindicierte. Nachdem Luther gesehen, dass es ihm unmöglich sei von sich in die objektive Heilsanstalt zu kommen, machte er die Erfahrung, dass er ohne Anstrengung begnadet würde indem ihm am geschichtlichen Bilde [175] Jesu Christi der gnädige Gott aufging und er Vertrauen zu ihm gewann. Dazu ist er gekommen durch den heiligen Geist, der uns vor das Bild Jesu führt: sehet welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass er seine Liebe und sein Herz uns in dieser Liebe bis zum Tode aufgeschlossen hat. Neben das Bewusstsein der Rechtfertigung aber zugleich das Bewusstsein ohne eigene Anstrengung es erlangt zu haben durch das Bild des geschichtlichen Christus, den er stets als Gott, d.h. als Spiegel Gottes betrachtet hat, vom Kloster her. So ist jede absichtliche Reue vergebens, in dem Bild Christi muss es einem aufgehen, dass alles Göttliche was auf Erden in Christus erschienen ist, sich auch auf einen selbst bezieht. Jeden selbstigen Busskampf erkannte er auch als Werk und demnach als unzureichend. Die theoretische Ausgestaltung dieser Erfahrung brachte den grossen Nachteil, dass die Reformation nun die schulmässigen Formeln und Einzelsätze des {Kartenwerks} annahm. Innerhalb der Betrachtung hat {die Aug.} aber den Gedanken sehr schön ausgeführt. Gutes wird nur erzeugt indem man sich vor ein noch nicht eignes höheres Gute stellt und sich von diesem überwältigen lässt nicht durch Theoretisierungen sondern durch Person, also hier durch den Gottmenschen, in dem sich menschlich das höchste Gute auferden darstellt. gratiis propter Christum per fidem (in der Sphäre des Glaubens) dum credunt se in gratia recipi et remitti sibi peccata [Vgl. CA 4: gratis iustificentur propter Christum per fidem, cum credunt se in gratiam recipi et peccata remitti propter Christum]. Nichts anderes wird inbetracht gezogen als das Schuldgefühl in dem man sich Gott enweder als zornigen denkt oder lieber gar nicht denkt. Es handelt sich nicht um die Strafe und die Schuld der Sünder, sondern um diese selbst. Die Schuld des Sünders besteht darin, dass er zu seinem Fluch sich Gott, der die Liebe ist, als zornigen denken muss und wünschte er wäre nicht fiducia se in gratiam recipi et peccata remitti propter Christum, qui pro peccatis nobis satisfecit [Vgl. CA 4: credunt se in gratiam recipi et et peccata remitti propter Christum, qui sua morte pro nostris peccatis satisfecit] . Die Erfahrung wird also nicht gemacht als durch die sich in [176] Tod gebenden Liebe Christi. Imputatio ist ein schulmässiger forensischer Begriff und hat veranlasst, dass man Glaube und Rechtfertigung trennte. Die Katholiken waren vor, man lege Gott eine Fiction bei, er erkläre Ungerechte an sich für gerecht. Wenn aber donatio fidei und justificatio identisch sind, so ist das unbegründet. Eine Änderung des habitus ist damit freilich nicht gesagt. Schon in der Conc Form ist die Justificationslehre immer kahler geworden. Das steigerte sich bei der Orthodoxie bis der Pietismus durch die Mystik zu helfen suchte.

Die Rechtfertigung führt Kindschaft und Freiheit herbei. cf. Von der Freiheit eines Christenmenschen. Röm 8, Freiheit von jedem Gesetz. Ergebung in göttliche Fügungen, Priestertum vor Gott im Gebet. Königliche Herrschaft über die Welt, das ist der habitus des Gerechten. Luther ist hier noch so bestimmt von der Höhe der Religion, dass er es selbst nicht einmal die Nächstenliebe zu den Früchten rechnet, sondern mit neuem gegensätzlichen Ansatz einführt. Diese Stücke hat er dann einzeln immerfort getrieben. Besonders die Freiheit vom Gesetz ist ihm Hauptsache, er sieht sich nicht einzelnen Bestimmungen, sondern einem ganzen gegenüber. Er empfand die Pflicht alles andere auszuscheiden, weil es die Majestät Gottes und Christi beleidige. In derselben Weise führte er das 2. Stück mit ausserordentlicher Kraft der Empfindung und des Ausdrucks aus wie Paulus Röm 8. Nichts in der Welt kann uns entgegentreten, das nicht als gnädige Fügung Gottes erkannt werden müsste. Nehmen sie uns alles, das Reich muss uns doch bleiben. Das ist dann zugleich die Herrschaft über die Welt, indem man sich bewusst ist mit dem Wesen in nächster Verbindung zu stehen, das die Welt erhält und regiert. Ach bei der Idee des Priestertums trat er nicht aus historischen Erwägungen gegen den statutarischen Priesterstand auf, sondern aus der Erfahrung, dass auch das, was Gott aufgehen lässt, bindend sei, nicht etwas was Menschen bieten, Conf Aug Art 20 (p 26); 27 (61).

[177] Der Übergang vom religiösen zum sittlichen wird dadurch hergestellt, das gesagt ist: Ergebung in Gottes Wille, indem man den Beruf als Gottgeordnet ansieht, man hat den Vorsehungsglauben im Beruf zu bewähren. Das ist das spezifisch religiöse. Das ist die Bewährung der Rechtfertigung. servire vocationis. Das giebt den Übergang zu den sittlichen Tugenden, man hat es mit Menschen zu thun denen man in Liebe zu dienen hat. Art 16 der Vorsehungsgl. bewährt sich in Anerkennung des Gottes{?} Art. 26 - Ebenso in der Westminster Conf. 12. gratia adoptionis. Providentia. Gebet. Umbeugung des Leids in den Gedanken der castigatio. Hier wären Zweifel ausgeschlossen, wenn die Terminologie und der Mangel des Verständnisses nicht Verwirrung angerichtet hätten. Es war üblich in der justitia das höchste zu sehen. Das geht zurück auf Paulus, resp. auf die Pharisäische Theologie, gegen die er streitet. Es ist immer etwas forensisch, und damit kommt der Gedanke an eine Fiktion Gottes hinein. Aber es sollte nicht einen habitus bezeichnen an einem Gesetz gemessen, sondern an der Liebe Gottes. »Gerecht ist der, der an die promissiones Dei glaubt« Luther. Auch im AT ist Gerecht oft gemessen an Jahve als dem Bundesgott, gerecht ist evangelisch also der, dem Gott die Kraft schenkt Gottes Verheissungen zu trauen. Im Gegensatz zu Osianders infusa und imputativa ist die Form. Conc. nun abgewichen von dem evangelischen Grundgedanken. Allerdings hält auch Luther es für das höchste Gesetz Gott zu vertrauen. ebenso im Majoristischen Streit. Melanchthon hatte die facultas applicandi ad gratiam in die späteren Auflagen hineingenommen. Major behauptete nun, »Gute Werke sind zur Seligkeit nötig«. Hätte man unter Werken jenes Vertrauen, Beten und u a verstanden unterschieden von dem Dienst am nächsten, durch ascetische Frömmigkeit so wäre es recht. Aber die Liebe und die ascetische Tugend sind Producte des eigenen Willens, es kommt so wieder zu einem kathol. Concursus. [178] Amsdorfs Gegensatz war auch richtig, wenn er beschränkt wurde. Mit Recht stellt sich die F. C. mehr aus [auf] seine Seite, aber der Mangel an Erkenntnis der eigenen gemachten Erfahrung machte die richtige Auffassung unmöglich.

Im Gegensatz zur Scholastik betonte Luther auch vor allem den thätigen Gehorsam Christi. Das propter Christum bezieht sich auf den geschichtlichen Christus, nicht ein Gedankenbild des praeexistenten. bei Luther herrscht allerdings noch die mittelalterliche Auffassung, dass das Werk Christi zunächst eine obj. Wirkung auf Gott hat, dann eine subj. Wirkung auf uns. Dadurch ist wieder die Aufgabe, das Werk Christi als einheitliches zu erkennen bei Seite geschoben. Die F.C. operiert mit oboed. activa u passiva, weiss jener aber nicht die richtige Stellung zu geben. Gott ist die Liebe. Der Sünder aber denkt ihn als zornigen, so braucht es keiner Umstimmung Gottes. Diese ist zw. in einigen Stellen des NT gelehrt, aber das ist für den freien Christen nicht bindend. Die Versöhnung ist so nicht auf Gott, sondern auf unsere Vorstellung von Gott zu beziehen, die Rechtfertigung geht der Versöhnung voraus (Ritschl) nicht umgekehrt. Symbolmässig ist das allerdings nicht, die Symbole betonen nur die oboedientia activa. Andere Controversen über die Rechtfertigung sind zu übergehen. Calvin war mit Luther einig, aber die Verdunkelung ging dort schneller, weil der Freiheitsgedanke nicht so deutlich ausgesprochen ist und die Stellung zum Gesetz ihn verkürzte. In der lutherischen Kirche hat Paul Gerhardt noch im 17. Jahrhundert den grössten Gedanken der Reformation hoch gehalten.

Von hier aus erledigen sich auch die katholischen Angriffe, welche alle die fides als {?} fassen ohne [bricht ab]


Literatur

Friedrich Loofs: Die Bedeutung der Rechtfertigungslehre der Apologie für die Symbolik der lutherischen Kirche, in: ThStKr 1884, 4. Heft, 613-688

Albert Eichhorn: Die Rechtfertigungslehre der Apologie, in: ThStKr 1887, 3. Heft, 415-491

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