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Symbolik §7

§7. Die organisierenden Grundideen in der griechischen Auffassung des Christentums

A. mathesis

»Das Heilsgut welches im Christentum gesucht und dargeboten wird, wird als das ewige Leben oder als die Vergottung vorgestellt. Deswegen ist der Inhalt der christlichen Glaubens-[29]erkenntnis die Erkenntnis des Gottes, der sich selbst, d.h. sein ewiges Ebenbild in diese sterbliche Welt herabgesandt und mit der Menschheit bekleidet hat, um diese Menschheit vom Tode zu befreien, aus dem Endlichen zu entschränken, und in göttliche Natur, d.h. in ewiges Leben überzuführen. diese Erkenntnis ruht ganz und gar auf Gnade; denn wie kann der endliche Mensch von sich aus eine neue Natur sich verschaffen? In diesem Sinne ist Glaube (an die Offenbarung) und Gnade auch das Centrum der griechischen Auffassung vom Christentum. Die Glaubenserkenntnis aber muss sich notgedrungen in Theologie und Christologie erschöpfen, denn in diesen beiden Lehrstücken ist in sofern auch die Lehre von der Aneignung des Heils enthalten, als die Verbindung des göttlichen und menschlichen in Christus es an sich verbürgt, dass nun die Menschheit die Vergottung erfahren wird.«

Für die griechische Kirche sind alle anthropologischen Fragen überflüssig. In Christus hat sich alles vollzogen, von ihm wird es in mystischer Weise uns angeeignet. Dabei ist [recte: sind] natürlich Gnade und Glaube Centralpunkte. Doch es kommt so zu einer ganz natürlichen Anschauung, es ist ein physischer Process allgemeiner Vergottung. Daher die Lehre der apokatastasis bei Origenes, auch bei Gregor von Nyssa und dem Areopagiten, bei denen sie meist vertuscht wird.

»Das Christentum enthält nach griechischer Auffassung neben der Aussicht auf Vergottung auch die Offenbarung des Willens Gottes oder das göttliche Gesetz, und Gott hat die Teilnahme an den durch Christus geschenkten göttlichen Leben an die Leistung der Tugend geknüpft. Der göttliche Wille oder das christliche Sittengesetz ist nach griechischer Auffassung nur das wiederhergestellte sittliche Naturgesetz, dessen Inhalt jedem verständigen Menschen bekannt sein muss. Die Leistung der Tugend [30] hängt ebenso vom freien Willen ab, wie die Vergottung sein Gnadengeschenk ist. Die griechische Kirche bringt also in ihrer Lehre vom Heil ihren religiösen Charakter, in der Lehre vom freien Willen und der Tugend ihren sittlichen zum Ausdruck. Aber ausser dem Wege der Tugendleistung kennt sie den Weg der Askese und dieser Weg führt den Menschen wirklich bis an das Heilsgut heran. Ihm gegenüber ist die positive Tugendleistung im weltlichen Leben ein untergeordneter, ja fast nur geduldetes.«

Heilsgut und sittliches Gut fallen für die griechische Kirche auseinander. Dadurch entgeht sie den grossen Schwierigkeiten der anthropologischen Lehre der abendländischen Kirche. Das neue in der Offenbarung des göttlichen Willens in Christus ist nur die Klärung des durch den Sündenfall getrübten Bewusstseins. Die christliche Ethik tritt nun in Gegensatz gegen Epikureismus und Fatalismus. Man glaubt sie ganz der Vernunft gemäss. Man kann daher nicht von Pelagianismus bei der griechischen Kirche sprechen. Sie ist in einer Hinsicht viel pelagianischer als Pelagius, aber doch steht sie ganz auf der Gnade. Erst in den späteren Symbolen kommen pelagianische Formeln vor. Es ist eben der Unterschied von Vergottung und Gotteskindschaft, der den Orient vom Abendland scheidet.

Die positive Sittlichkeit erleidet eine Ausnahme in der Askese. Diese müsste aber streng durchgeführt zum Selbstmord führen, jedenfalls hat sie zu wunderlichen Auswüchsen geführt, indem man behufs Entsinnlichung sich fast aller Berührungen mit natürlichen Dingen zu enthalten suchte um so zur Vergottung zu gelangen. Man kam auf diesem Wege natürlich zu einer doppelten Sittlichkeit.

Doch alles dies stellt sich nicht so rein in der griechischen Kirche dar, z.t. ist aus dem Gebrauch der heiligen Schrift manches eingedrungen an evangelischer Wahrheit, doch neben dem System. [31]

B. mystagogia

»An sich sind Heil und Welt lediglich Gegensätze aber Gott hat durch Christus das zukünftige Heilsgut in dieser Zeitlichkeit schon vorläufig zugänglich gemacht, indem er ein kultisches System von Gottmenschlichem als persönliche Hinterlassenschaft des gottmenschlichen Lebens Christi in die Welt gestellt hat. Dieses System repräsentiert in seinen Trägern, Funktionen und Riten das göttliche Leben soweit es schon hier auf Erden von sterblichen Menschen angeeignet werden kann; es repräsentiert es symbolisch, aber doch zugleich wirksam. Der Vollzug dieses Systems ist gebunden an die rechte mathesis, an die berufene Hierarchie und an den gottgeordneten von den Aposteln überlieferten Ritus. Hieraus ergiebt sich, dass derjenige Christ an den Gütern dieses Gnadensytems teil hat, welcher die Bedingungen erfüllt:

  1. der Orthodoxie, der rechten mathesis
  2. des Gehorsams gegen die fungierenden Priester
  3. der vollkommenen und genauen rituellen Leistung

Wie die mystagogia der mathesis entspricht, so entspricht die kirchliche kultische Pflichterfüllung der Tugend. In Wahrheit aber hat die Kirche beider grossen Mehrzahl ihrer Gläubigen sich mit der Forderung begnügt der Mystagogie und kirchlicher Pflichtleistung.«

Jesus Christus hat sich nicht damit begnügt uns fürs jenseits gottmenschlich zu machen, sondern schon im Diesseits giebt es gottmenschliche Hinterlassenschaft im Cultus, der im grossen wie im kleinen gottmenschlich ist. Nicht das einzelne, sondern die Einheit des ganzen wirkt, wie bei einem gothischen Dom, bei dem auch beim kleinsten die Gottheit vorhanden ist. [32] Damit man die Segnungen des Cultus geniesst, muss man ihn verstehen und mit Rechtgläubigkeit anschauen. Dann muss man dem Priester als kultischer Person Gehorsam und Achtung erweisen. Daneben wird er als Privatperson oft sehr gering geschätzt. Die Pünktlichkeit im Cultus ist ein erbe aus dem alten heidnischen Wesen, das immer seine Zauberei und peinliche Genauigkeit treibt. Dennoch hat dies Formelwesen den Geist des Christentums nicht ganz ersticken können, wie auch Jesus Christus unter dem Schutt des damaligen jüdischen Cultus frei als Gotteskind atmete.

Die vernünftig selbstverständliche Tugend, die Askese, die kirchliche Pflichterfüllung sind alles, was gefordert wird. Die Regelung des socialen Lebens, bleibt der Nationalität, dem Staat überlasen.

Gass beurteilt die griechische Kirche zu gut, besonders in ihrem jetzigen Zustand. Allerdings ist ihr alles symbolisch, aber Symbol ist ihr nicht Gegensatz zur Realität. Das Symbol ist vereinigt mit der Realität. Die alten griechischen Väter sagen in einem Satz: das Brot bedeutet den Leib und des hat die Kraft zu verwandeln, also reale Kraft. Das Symbolische tritt immer mehr zurück. Das Bild ist nicht nur ein Bild, sondern schliesst einen Teil des geistigen Wesens in sich ein. Das System führt allmählich zum Fetischismus: vom hohen poetischen Schwung, wo man sich das geistige versinnlicht, kommt man durch religiöse und sinnliche Genusssucht bis zum Fetischdienst herabt, der in der Theorie in der griechischen Kirche schlimmer ist als in der römischen, die freilich in der Praxis z.t. schlimmer ist. So ist Besuch und Gegenbesuch zweier Bilder derselben Person in der römischen Kirche kaum denkbar.

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