Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Symbolik §47

§47 Die Hauptmomente in der Entwicklung des Protestantismus

Die Richtungen - die Sekten

down Das reformierte Kirchentum

1) 1517 - Streit mit den Wi[e]dertäufern. 2) - Augsburger Confession. 3) - Luthers Tod. 4) - Concord. Formel sind die Phasen der lutherischen Entwicklung. Bei Zwingli giebt es keine solche.

Für die deutsche Reformation ist die erste Periode grundlegend: Luther ist von keinem andern Interesse beseelt als der Wi[e]derherstellung des reinen Evangeliums für die ganze Christenheit. Die Schriften dieser Periode sind massgebend. Nach [15]21 hat Luther keine neuen Gedanken mehr aufgestellt. Aber viele stillschweigend korrigiert oder zurückgenommen oft auch unklarer gemacht.

Epochemachend ist der Kampf mit den Wi[e]dertäufern. Erbkam Gesch. d. prot. Sekten 1848. Die Wi[e]dertäufer oder die Ultra's der Reformation sagt noch Hase, aber mit Unrecht, sie stammen aus der franziskanischen spiritualen Richtung der katholischen Kirche, waren schon vor der Reformation vorhanden, haben sich nachher mit evangelischen Gedanken angefüllt aber ihre Grundlage nicht verläugnet.

  1. Das Christentum ist nur dort wo active Heiligkeit bis zum Aufhören aller Sünde vorhanden ist.
  2. Das Reich Gottes kann nur durch eine Loslösung von der Welt, dem Staat, der sichtbar herrschenden Kirche dargestellt werden.
  3. Der heilige Geist wirkt in enthusiastischer Weise mittels des innern Wortes, ohne Zusammenhang mit dem äussern und ohne Voraussetzung der geschichtlichen Über[140]lieferung den Glauben.
  4. Christus kommt demnächst wieder, schlägt die Ungläubigen aufs Haupt und verwirklicht die Gemeinde der Gläubigen.

Diese Bewegungen drängten sich an die Reformation heran. Luther wies sie zurück, oft unberechtigt da sie in der Kritik der bestehenden Kirche ganz einig waren, auch in dem innern Wort oft nur das Verbum praedicatum meinten und je länger je mehr oft sehr religiös innig waren. Aber Luther erkannte, dass sie für die Zeit schädlich waren und wies sie zurück. Damit zw[ar] viele gute Erkenntnis. Nach der gewaltsamen Niederlage wurden sie still. Menno Simons sammelte die Zerstreuten und nahm sehr viel Evangelisches in den Lehrbegriff auf, so dass sie jetzt wirklich evangelische Sekte sind, etwas mehr reformiert als lutherisch. Aber in einigen Punkten zeigen sie ihren mittelalterlichen Ursprung: Verwerfung der Kindertaufe, des Eides, des Kriegsdienstes, des Staatsdienstes (zuweilen). Dabei sind hier auch zwei Parteien, eine mit strengster Kirchenzucht und eine mit Erleichterungen. In der dritten Generation beginnt immer schon eine Lockerung der Zucht. Sie sind immer noch ein schönes Denkmal jener grossen Bewegung.

Mit dieser Bewegung vielfach verflochten ist die antitrinitarische, die in den Socinianern ausgemündet hat. Auch diese ein mittelalterliches Produkt mit reform. Einschlag. Der Antitrinitarismus hat einmal seine Wurzel bei den Wi[e]dertäufern, die nichts aus der geschichtlichen Überlieferung gelten lassen wollten, also auch nicht die Concilsbeschlüsse. Wo dieser antitrinitarische Geist sich zeigt schlägt die Obrigkeit sofort zu, nach dem alten Justinianischen Gesetzbuch. So muss man Calvins Vorgehen verstehen. Eine [141] zweite Wurzel war im Nominalismus gegeben, wo alle diese Lehren für unvernünftig erklärt worden waren und die Autorität der Kirche überlassen. Diese Kirchenautorität war aber durch die Renaissance gelockert. Damit sanken auch diese Dogmen und viele nüchterne, besonders juristische Gelehrte Italiens bes. Lälius und Faustus Socinus kamen dazu Bibel und Ratio für die einzig christlichen Principien zu erklären. Nichts kann in der Religion eine Stelle haben, was nicht die Tugend erzielt. Besonders Socin [Fausto Sozzini] hat in wi[e]dertäuferischen Gemeinden Siebenbürgens eine eigentümliche Schule mit dem Titel Kirche gestiftet, deren Mittelpunkt Rackau wurde. Zweiter Katechismus 1605 [Rakauer Kat., polnisch 1605, deutsch 1608, lat. 1609], Brevissima Institutio 1618. Hier findet sich bereits der Rationalismus ausgeprägt, aber supranaturalistisch. Die Bibel enthält Offenbarung, aber diese widerspricht der Vernunft nicht. Der Begriff Vernunft wurde dabei nie untersucht, man nahm der Vernunft innewohnende, angeborene Begriffe an. In den Katechismen dient alles dem Gedanken der moralischen Besserung, die durch Lehren erreicht wird. Christus ist der von Gott dazu ausgerüstete Mensch, der die reine Sittlichkeit lehren sollte und Gott hat ihn hernach zu sich gezogen. Die Sakramente sahen sie für Ceremonien an. Im Negativen haben sie erstaunliches geleistet, kein Straussscher Gedanke fehlt bei ihnen. Auch die Kritik aus der Schrift heraus ist ausgezeichnet. Aber sie haben keinen Begriff von Religion, die ihnen nur Krücke der Moral ist, sie lehrt das thun, was man an sich thun müsste. Die Fragestellung ist katholisch, die Beantwortung rationalistisch im Gegensatz zur Mystik, zum Sakrament, zu den dem Kathol. religiösen Wert gebenden Sachen. [142] Nur die Verwandtschaft besteht zwischen uns und dem Socinianismus, dass das Individuum ein freies Recht hat, dass das kathol. überlieferte Dogma ungenügend ist (doch ohne dass wir es wegrasieren). Die Anfänge des Antitrinitarismus liegen in den 20[er] Jahren des 16. Jahrhunderts.

[1)] In der zweiten Hälfte der 20[er] Jahre musste die Reformation sich plötzlich eine Kirche schaffen (nach Speyer). Bisher hatte man nur gepredigt, jetzt musste man organisieren. 1520 schrieb er [sc. Luther] als Prediger, unbekümmert um die Übergangsbestimmungen nur das Ziel des Glaubens steckend. Etwas neues zu schaffen, dazu waren die Wittenberger zu konservativ. Das vorhandene schonend umbilden, war ihre Losung. Das war nicht besondere Weisheit, sondern war Luther ganz natürlich. Er war kein grosser Organisator, obgleich er einzelne gute Ratschläge gegeben hat. Melanchthon war Schulorganisator. So sah er die Welt als zu organisierende Schule an, er hatte sich ganz in Luthers Anschauungen hineingearbeitet, aber ohne sie in alle Details seiner schulmeisterlichen Ideen überzuleiten. Er stellte sich vor, das Evangelium müsse sich darstellen in einer massgebenden doctrina evang. als Fundament für das Ganze und jeden Einzelnen, 2) dass diese so auszugestalten sei, dass sie formell und materiell der alten doctrina publica möglichst gleich komme um eine Brücke zur alten Kirche und den in ihr stehenden zu haben. 3) Die doctrina evang. muss so ausgeprägt werden, dass der gemeine grobe Mann keinen Anstoss erhält und nicht durch Wegfall des Beicht[143]zwangs zur Laxheit kommt und die evangelische Freiheit zum Deckmantel der Bosheit macht. ad 1) Indem Luther die alte Kirche reformieren will, schwebt ihm nicht vor eine neue Lehrform zu schaffen. Durch die promissiones Dei soll der Einzelne gewonnen werden und dann ist er frei auch in dem Ausdruck seine Glaubens. Aber da man nicht fragen konnte willst du katholisch oder evangelisch sein so musste ganz Sachsen eine neue Kirche bekommen, Verfassung Cultus liessen schwerer eine kirchenbildende Gestaltung zu. Bis [15]29 dachte Luther nicht an ein Bekenntnis. Vo{r} Marburg dachte Luther, Zwingli sei ein Wiedertäufer, dem man die Grundlagen vorlegen müsse, so sind die Marburger Artikel entstanden, die Zwingli bis auf den letzten vom Abendmahl unterschreibt. [15]30 nun kommt der Reichstag. Da wird auf Grund davon eine Confessio gemacht, die an die alte katholische doctrina anknüpft und nur zu den einzelnen Punkten evangelische Bemerkungen macht. Das Evangelium und die doctrina Evangelii aber sind nicht dasselbe wie Melanchthon meint. Luther aber, kein systematischer Kopf, spricht bald mit grossartiger Verachtung von der Sophisterei, an anderen Stellen aber hält er wieder an den alten Symbolen aufs entschiedenste fest. Durch die Augsburger Confessio erleidet die allgemeine evangelische Bewegung eine schulmässige Beengung, dabei geht der einheitliche Charakter der Religion, der einen einheitlichen christlichen Charakter erzeugen soll, verloren.

ad 2) Melanchthon war milde solange er furchtsam war, er war meist schroffer als Luther, besonders [15]29 gegen Zwingli, mit dem er nicht pactieren wollte um zurückzukönnen. In Augsburg hätte er fast den Pro[143]testantismus verraten, wenn Luther und weltliche Räte, besonders Philipp von Hessen nicht gewesen wären. Er hat ins Luthertum den Stich eingelegt, die katholische Kirche möglichst nachzuahmen.

ad 3) Rücksicht auf den gemeinen groben Mann. Die Lehrweise Luthers hatte zur Folge, dass viele Leute lax wurden, die katholische Kirche hatte sie so erzogen, dass sie die evangelische Freiheit nicht ertrugen. Statt eben dies Volk zu erziehen mit vorübergehenden Ordnungen, wollte Melanchthon lehren um des gemeinen groben Mannes willen, die Busse gehe dem Glauben voran, erst Gesetz dann Evangelium. Er betrachtete das Volk nicht als zu erziehende Christen, sondern als Heiden. Agricola und einige Katholiken erkannten die Schwenkung, Agricola, Luthern wegen seines Charakters verdächtig, wurde auch mit dem guten zurückgewiesen. In Melanchthons Loci verlor[en] so Glaube und Rechtfertigung ihre beherrschende Stelle. Melanchthon setzte eine Vorstufe vor, das Gesetz. Später kam danach die unio mystica.

Als Luther starb, galt Melanchthon als sein Nachfolger, aber er war dem nicht gewachsen. er hat einen Conflict in sich und den hat er der Kirche übertragen: 1) Luthers Lehre ist das allein massgebende, das lernten von ihm Flacius und die anderen, 2) er selbst behielt sich Abweichungen vor, schon in den letzten Lebensjahren Luthers, der aber zu gross war um diese Differenzen zu betonen. Er neigt zu Erasmus' Lehre vom freien Willen und durch Calvin und Oecolampad überwunden neigt er auch in der Abendmahlslehre zu Calvin's Auffassung. Dann leidet er an Cryptocalvinismus. Im Herzen hat er nichts dagegen sich mit Calvin zu vereinigen. Diese Spaltung [145] hatte zur Folge, dass er zwei Sorten von Schülern grosszog. Die einen betonten die doctrina Lutheri (aber nicht die anfängliche feurige, sondern die später erkaltete) die anderen pflegten seine Eigentümlichkeiten. Er kam unter das Gericht der Kirche, die er selbst als Schule grossgezogen hatte. Er selbst hatte die rabies theologorum veranlasst.

Luther war zwar auf einigen Linien sehr verengt, aber auf den meisten ist er ganz frei. Luther ist der Reformator der Christenheit (denn Zwinglis Werk ist zerstört und Calvin ist Luthers Schüler), aber Vater der lutherischen Kirche ist Melanchthon und er hat diese Kirche gleich zwiegespalten in die Welt gesetzt als lutherische und als unionistische (philippistisch, sog. reformierte Landeskirchen, bes. Hessen-Cassel, wo nur die reformierte Gottesdienstordnung eingeführt wurde, nichts an der Lehre und der Verfassung geändert wurde). Reichsgesetzlich freilich war die Kirche einheitlich, aber innerlich gespalten. Bis 1650 spielt das milde Luthertum eine geringe Rolle. Die Zeit ist der Fortsetzung der Scholastik mit den grossen Systemen geneigt. Nur in Helmstedt wirkte Calixt mit freiem Blick, wurde aber sehr angefeindet.

Von 1650 an treten andere Richtungen ein. Im Zeitalter der Orthodoxie wurde der Protestantismus im Schema des Thomas behandelt als ein in den einzelnen loci veränderter Katholizismus, ohne Sinn dafür, dass ein neues Verständnis des Evangeliums hätte sein müssen. Aber doch in der Zeit der Hochorthodoxie hat Paul Gerhardt seiner Lieder gesungen, so gab es in der rauhen Schale ein lebhaft pulsierendes Leben. Wenn diese doctrinäre Verengung die äussere Signatur war [146] so musste eine Gegenbewegung kommen. Entweder konnte man die schlechte Praxis in die schlechte Theorie umsetzen im offenen Rückfall in den Katholizismus (neuerdings z.B. in Vilmars Amtstheorie) oder man sagte sich die Rechtfertigung versteht man nicht mehr, das Vollkommenheitsideal ist verloren, es muss ein neues gefunden werden, im Rückgreifen zu den mönchischen {Spornen}, doch nur Fragmente, der Pietismus kann aufgenommen werden. Er ist nur abgeblasstes Mönchtum, wenn er auch nach der Zeit der toten Orthodoxie viel Segen gestiftet hat. Aber wenn er sagt um fromm zu sein, musst Du dir gewissermassen eine Capelle neben dem Hause bauen, ein spezifisch religiöses Leben neben dem gewöhnlichen. Es ist ein unruhiges hastiges unsicheres Conventikelleben ohne innere Ruhe. Daher auch die Erbauungsschriften meist leicht überarbeitete katholische Erbauungsschriften, dominikanischer und franziskanischer Frömmigkeit. Gottfried Arnoold übersetzte fort und fort katholische Mystik. Die evangelische Rechtfertigung war unverstanden und daher unfruchtbar.

Es ist auf dem Boden des Protestantismus nun Dilettantismus. Auf die Dauer zerstört er den Protestantismus in dem der uns die Rechtfertigung nimmt und uns so in den Katholizismus führt. 3) Endlich sagt man, ich begreife das mit dem Verstand nicht, also thue ich es ab. Rationalismus.

[147] Der Rationalismus ist offenbar nicht bloss eine pathologische Erscheinung in der Kirchengeschichte. Man kann manchen Fortschritt auf ihm {zuvor} konstruieren. Der Rationalismus ging davon aus, dass in der Theologie nur gelten solle was praktischen Wert hat. Ferner hatte der Rationalismus Gefühl dafür dass in der Spaltung der Konfessionen sich ein nicht sein sollendes darstellt. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass er den Gedanken der väterlichen Vorsehung Gottes »ich bin und steh' in Gottes Hand« als centralen wieder hervorgehoben hat. Endlich hat er auch den Gedanken des ewigen Lebens nicht aufgegeben im Kontakt mit der Bildung der Zeit. In pathologischer Hinsicht sind besonders zwei Momente zu nennen. Der Rationalismus hatte keine Einsicht dafür, auf welchem Grad das Gute welches er festhält, allein bleibend zu erhalten war. Er verkannte die Bedeutung der Person Christi; er streifte mit der Last der Vergangenheit auch das ab, was wir ihr und der Geschichte verdanken. Er glaubte, dass in einer gewissen religiösen Anlage schon alles gegeben sei. Weil so der Rationalismus die Geschichte unterschätzte, unterschätzte er auch die Geschichte Jesu Christi. Ferner: Pietismus und Orthodoxie hatten betreffs der Sünde Anweisungen gegeben, welche sich als unfruchtbar erwiesen. Sie hatten die Vorstellung übernommen, was nicht aus dem Glauben kommt, sei Sünde. Aber man kann nicht das Wesen der Sünde behandeln wenn man mit der allgemeinen Sündhaftigkeit anfängt. Das kann keinen Eindruck machen, die Folge war, dass der Rationalismus auch mit der augustinischen Sündenlehre brach und oft zu den grössten Freiheiten fortschritt. »Er kannte die Canaillen nicht« (Friedrich der Grosse). Aber alle die grossen Männer der Wende des Jahrhunderts sind [148] hervorgegangen aus rationalistischen Pfarrhäusern.

Die Reaktion hiergegen entsprang einerseits aus der geschichtsdurstigen Romantik, die zuerst lehrte die Geschichte zu verstehen (So: Herder, Schlegel, Grimm, Savigny u.a.). Von dort aus war ein Strom ausgegangen. Andererseits aber ging ein Strom aus von der ethischen Erhebung der Zeit, einerseits hervorgerufen durch Kant, andererseits im Anschluss an die gewaltige Erhebung des Volkes. Dann trat Schleiermacher auf mit seinem Verständnis für alle die Sachen, die der Rationalismus unterschätzt hatte: Verständnis für »Gefühl«, Wert der religiösen Gemeinschaft, Sünden- und Gnadenbewußtsein, Erlösung. Dieser ausserordentliche Geist und diese grosse Bewegung haben den gänzlichen Fall des Rationalismus zur Folge gehabt. Man that den Rationalismus ab, aber leider damit auch alles das Gute was er hatte, seine Wahrheitsliebe u.s.w.

Auf dem Grunde der Reaktion haben sich sehr verschiedene Spielarten ausgebildet. Die eine erstrebt Rückkehr der Lutherischen Kirche und Koncordienformel. Dann haben wir aber die Union gehabt, das grösste kirchenpolitische Ereignis seit der Koncordienformel. Sie war ein gewaltiger Fortschritt in der Union. Wir haben die altlutherische Richtung, positive Union usw. Es giebt in der Union drei Richtungen 1) diejenigen, welche die alten Bekenntnisse in der Union festhalten, 2) demgegenüber von Schleiermacher und Bunsen her eine Richtung in der Union, welche in der Gotteslehre stärker pantheistisch war, welche in der Kirchenpolitik mit dem Liberalismus geht und zur Bibel wirklich freie Stellung hat. Aber da der Gottesbegriff derselben immer noch unsicher ist [149] wird es in der Union stets eine Partei geben, welche weder das eine noch das andere thun will, sondern auf das Verständnis des Evangeliums zurückgeht welches in Luthers grundlegenden Gedanken zum Ausdruck gekommen ist.

Das reformierte Kirchentum

Die Impulse desselben gehen aus von Calvin.

In den Niederlanden ist Anfang des 17. Jahrhunderts eine Reaktion des strengsten Calvinismus eingetreten. Dagegen hat sich eine Spaltung entwickelt (Remonstranten) was dazu führte, dass zu Dordrecht 1618/19 die Remonstranten ausgeschlossen wurden. Sie hielten sich in einzelnen Gemeinschaften. Arminianer hiessen sie und sie haben in Holland die Bedeutung gehabt, die Toleranz dort mit Nachdruck durchgesetzt zu haben. Zugleich haben sie die moderne geschichtliche Betrachtung des H... mit eröffnet. So ist hier eine kleine aber sehr wichtige Gemeinschaft aufgetreten. Sie haben den Begriff Kirche und Kirchentum protestantisch gefasst und indem sie der Kirche jedes Regiment abgesprochen haben, sind sie die Vertreter des modernen Staatsgedankens geworden.

In Frankreich hat der Calvinismus für seine Existenz gekämpft, hat hier aber auch herrliche Gemeinden geschaffen. Diese Strenge, Zucht, Opferwilligkeit, Begeisterung, sich beugen vor Gott, aber vor keinem irdischen Menschen, darin steht der Protestantismus Frankreichs einzigartig da. Aber freilich alle Eigentümlichkeiten des Calvinismus sind dort erwachsen, sie bildeten einen Staat im Staat, hier kann man es sehen dass der Calvinismus auf ein regnum externum hinausläuft. Man weiss, wie es den Hugenotten in Frankreich ging. Auch sie hatten eine Richtung gegen die äusserste Strenge, aber nicht so gewaltig wie in den Niederlanden aus Furcht vor dem Staat. [150] Zuletzt sind sie aus Frankreich hinausgeworfen, haben sich erhalten bis zur französischen Revolution. Dann bei Durchsetzung der Religionsfreiheit hatte Frankreich seine besten Bürger verloren. Der französische Protestantismus konnte nicht mehr ein grosser Faktor des öffentlichen Lebens sein. Neuerdings hat er Anteil genommen am deutschen Protestantismus, der lutherische und reformierte Gegensatz ist langsam ausgeglichen worden.

Viel komplicierter ist die Entwicklung in England. Heinrich VIII. hatte die Kirche reformlos vom Papste losgerissen. Statt des Papstes hatte man ihn und Anna Boleyn. In allen Ländern Europas war dieses landesfürstlich-päpstliche Gelüsten damals im Schwange. In England wurde es nur akut. Aber es konnte dabei nicht stehen blieben. Der König freilich wollte das nicht, aber die Dinge haben ihre eigene Logik. Trotzdem die Reform. verfolgt wurde, musste schon der König Verordnungen sehen und unter Eduard VI. kam es durch Cranmer zu einer wirksamen Reform. Er kam damit einer weit verbreiteten Richtung im Lande entgegen. Im niederen Volk war die wiclifitische Erinnerung noch nicht verklungen und gern warf man vieles über Bord. Die englische Staatskirche hat einen doppelten Typus, einmal die katholische im Kultus wo die Messe blieb und in der Verfassung wo die bischöfliche Succession blieb, dann die buzer-calvinische in der Doctrin. Unter Elisabeth wurde das Werk sicher gestellt, besonders durch die Synode zu London und die 39 Artikel 1571 und das Common Prayer Book. Calvin ist aufgenommen ausser der Praedestination. Seitdem sind in der englischen Kirche zwei Richtungen vorhanden. Eine katholisch ritualistische und eine evangelische. Die englische Hochkirche hat in stetem Kampf gestanden, nicht nur mit päpstlichen Bestrebungen, besonders unter den Stuarts, sondern schon in den [151] Tagen Elisabeths gab es viele, welche mit solchen Reformen nicht zufrieden waren. Namentlich ging die Bewegung aus von solchen, welche unter Maria nach den Niederlanden geflohen waren wo damals der Calvinismus in höchster Blüte stand. Als die Flüchtlinge nach England zurückkehrten erklärten sie die englische Kirche für eine halbe Schöpfung und sie machten da Calvin geltend einmal in bezug auf die Verfassung, wo sie über Calvin hinausgehend das Prinzip der Independenz aufstellten, dann im Cultus, wo sie gegen die ritualistische Richtung vorgingen, deshalb Puritaner. So stellt sich auch in den Puritanern die grösste Fülle individueller Bildungen dar. Freilich hat sich auch hier der calvinische Doctrinarismus geltend gemacht.

Die englisch-methodistische Bewegung. Sie ist ihrem Ursprung nach eine Parallele zur Brüdergemeinde. John Wesley führte zur Bildung der Methodisten. Was seine Stiftung auszeichnet ist, dass Wesley ursprünglich nicht eine Sekte neben der Kirche bauen wollte, sondern dass er die Tendenz hatte innerhalb der Staatskirche und der Christenheit das Bewusstsein der Versöhnung durch Christus im Einzelnen lebendig zu machen. Lecky, Biographie Wesley's. Sofern er ganze Gebetsgemeinschaften und Gottesdienste hielt sollten sie noch dem Zweck dienen, dem Einzelnen sein Christentum wieder lebendig zu machen. Nun aber kommt schon bei ihm hervor eine gewisse Methode der Seelenführung und -gewinnung ähnlich wie beim Hallischen Pietismus. Er sucht zuerst das Sündenbewusstsein zu wecken, er weiss die Leute dadurch so zu erschüttern, dass darauf im zweiten Teil die Predigt dem Hörer den gnädigen Gott zeigt. Das führt seine Anhänger darauf, gradezu eine Methode aufzustellen mit Erregung, nicht eines Busskampfs, sondern eines Busskrampfs. Was bei Wesley Genie [152] war wurde bei seinen Anhängern Methode.

[153] Die Irvingianer zeigen ihren highchurch Ursprung in der Mischung von evangelisch und katholisch in vollem Ritualismus, mit ausgebildeter Verfassung, evangelischem Lehrbegriff und starkem apokalyptischen Element. Gott hat für die Endzeit der Kirche 12 Apostel geschenkt mit gleicher Dignität wie die alten. Sie sind aber gestorben. Jetzt giebt es nur Apostelcoadjutoren. Ekstase Zungenreden Prophetie wird wieder gepflegt. Die Erklärung für alles ist der alte Gedanke der Ungeduld: die Kirche ist ein Babel, mit natürlichen Mitteln ist ihr nicht aufzuhelfen, nur durch eine Geistesausgiessung. [Heinrich Wilhelm Josias] Thiersch hatte vor seinem Übertritt gesagt, die Kirche Christi sei gewissermassen schon nach der apostolischen Zeit verloren gegangen. Die Irvingianer stellen grosse Anforderungen an die Mitglieder.

Die Plymouthbrüder (Darbyisten) in England, franz. Schweiz und Dillthal sehen in jeder Ordnung ein Zeichen der Verweltlichung. Alle diese Sekten stimmen im negativen überein, in der Verwerfung der Landeskirche, die positive Erbauung ist biblicistisch.

Nach katholischer Schablone sind wir keine Kirche, sondern eine bunte Musterkarte, aber grade durch die Zerspaltung werden wir grade darauf gewiesen, dass diese Particularkirchen zwar Objekt der Wirksamkeit, nicht aber ihr Ziel sind: dies ist die Gemeinschaft der Herzen, die wirklich Religion haben.

Zum Seitenanfang