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Symbolik §46

§46 Das Wesen und der geschichtliche Ursprung der reformatorischen Kirchenbildung

Die Reformatoren wollten keine kirchliche Neubildung. Innerhalb der Christenheit sollte man das vorhandene Volk Gottes in die Reformierte Kirche sammeln. Sie hatten das Zutrauen zur Kirche, dass sie die Kräfte zur Neugestaltung in sich trage. Sie haben sich in die geschichtliche Überlieferung der Kirche hineingestellt. Nur äussere Verhältnisse haben sie zu einer itio in partes genötigt. Von hier aus kann unter allen evangelischen Kirchengemeinschaften der Unterschied gemacht werden, dass die einen nur eine Reform der Kirchengemeinschaft darstellen wollen, die anderen aber ihre Umgebung als Babel betrachten. Letztere muss man mangels eines anderen Wortes als Sekten bezeichnen, die welche sich in die Geschichte stellen aber Kirche. Für die grossen lutherischen, reformierten und unierten Kirchen ist die Idee des Zusammenhangs mit der alten Kirche massgebend gewesen. Der belebende Gedanke bei Luther war der, die Christenheit darauf zurückzuführen, in ihrem religiösen Leben den Gedanken zur Herrschaft zu bringen, dass der Christ als Gotteskind von der Gnade Gottes lebt inbezug auf Sünde Übel und Gutes.

Dass dieser Gedanke in der Kirche nicht verloren gegangen sei, war Luther überzeugt. Er glaubte die Verschüttung erst wenige Jahrhunderte alt. Darin [133] hat er sich wesentlich geirrt. Die Formel für Luthers Gedanken ist Rechtfertigung allein aus dem Glauben, aber das ist missverständlich.

»Die 2 Prinzipien: material: Rechtfertigung allein aus Glauben und formal: heilige Schrift« ist schematisch, ganz jung (seit Twesten), unvollständig, zu weit und unbestimmt und setzt zwei ungleichwertige Prinzipien für gleichwertig.

Sofern Protestantismus sich als Fortsetzung der Kirche betrachtet, muss dies auch im Prinzip ausgesprochen sein. Glaube ist nur wo Wort Gottes ist, auch im Sakrament. Somit besteht ein Zusammenhang zwischen dem Glauben und der Gemeinschaft, es giebt keine religiöse Generatio aequivoca. Die Kirche ist die Mutter, das Wort als Zeugnis des Glaubens an lebendigen Personen ist zeugende Kraft.

Nicht nur der Protestantismus beruft sich auf die alleinige Autorität der heiligen Schrift, sondern auch ein Teil der mittelalterlichen Kirche und neuere Sekten. Dabei stellt sich auch der Protestantismus nicht nur auf die Schrift sondern auch auf die Geschichte der Kirche. Im Prinzip thut das Calvin auch aber er ist nicht so sicher wie Luther, früh machen sich biblizistische Strömungen geltend. Luther hat sich gegen die gesetzliche Auffassung der Schrift auf das energischste gewehrt, gegenüber den Widertäufern [!] und Bettelorden.

Luther centralisierte sich nach einem qualitativen Gedanken die ganze Schrift und kritisierte von hier aus. Ihm handelte es sich um Freiheit des Gotteskindes. Dabei darf es keine Mehrheit von Autoritäten geben.

Formalprincip ist der gepredigte Christus als Lebenschaffendes Zeugnis solcher, die es an sich selbst erfahren haben. Dabei haben die [134] Zeugnisse aus alter Zeit natürlich als das ursprüngliche die höchste Bedeutung, zumal die Biographie nie den Eindruck macht wie das Zeugnis der Personen die um ihn waren und ihren Eindruck widergeben [!].

Die beiden Principien sind nicht gleichwertig. Selbst wenn die Autorität des Bibelbuchstabens massgebend wäre, so handelte es sich doch um verschiedenes, um eine Quelle des Lebens und um eine Bedingung zu einem langen Process, der einmal religiös werden kann.

Die Rechtfertigung ist das Wort was die Eigentümlichkeit des Protestantismus gut aber nicht genügend bezeichnet. Es handelt sich nicht um einen einmaligen Act auf den andere folgen. Das ist katholische Vorstellung (justificatio im engeren Sinne). Bei Luther macht es etwas anderes aus, einen rein innerlichen Act, zugleich einen bleibenden Zustand. Die Innerlichkeit wird ausserordentlich betont. Keine äusseren Merkmale, ohne Schema, kein Erlebnis das uns von Übeln des Lebens äusserlich befreit, sondern eine Stimmung des Herzens, Zutrauen und Kindersinn, das besagt auch fürchten lieben und vertrauen. Es handelt sich nicht um ein Verhalten, sondern um ein Verhältnis und das Bewußtsein hiervon. Nicht um die Veränderung eines habitus, menschliche Qualität, sondern lediglich um das sichere Bewußtsein einen gnädigen Gott zu haben. Diese Rechtfertigung ist ein Zustand, der nicht überboten werden kann. Zuversicht kann quantitativ grösser oder kleiner sein. Aber es ist doch der vollkommene Glaube, der sagt: »Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!«. Weder die Vollkommenheiten noch die Unvollkommenheiten sollen das Verhältnis zu Gott stören können. »Durch den Glauben herrscht einer inmitten seiner Feinde.« Diese Stimmung hat Luther auch als einen stetigen Besitz bewahrt, nicht mystisch. [135] Erprobung des Glaubens an Gott ist Vertrauen auf Gottes Vorsehung. So kann der Protestantismus auch keine dingliche Gnade brauchen, sondern eine Person die ihm versichert wie Gott ihm gesinnt ist. Nur an einer Person kann man die Gesinnung einer Person erkennen. Im Katholizismus tritt die Bedeutung Christi hinter den einzelnen Thaten und Werken zurück, die er gethan hat. Für uns ist die Person Hauptsache. Daneben behalten einzelne Thaten ihre besondere Bedeutung.

Der gepredigte Christus als das aufgeschlossene Antlitz Gottes. Das Vertrauen auf Gottes Vorsehung, das ist wesentlich.

Es ist ein ganz neues Lebensideal was dem Katholizismus entgegengesetzt wird. Der Mensch muss dort das kreatürliche abstreifen, um in der Contemplation des Ewigen zu leben. Aber deus nobiscum non aliter agere vult nisi per fidem. Die einzige Ehre, die man Gott anthun kann, ist die dass man ihm traut. So darf man nicht eine Kapelle neben dem täglichen Leben haben, sondern in dem Beruf und Stand sich der Göttlichen Hilfe getrösten und dem Nächsten in Liebe zu dienen ist christliche Vollkommenheit. Damit war den natürlichen Ordnungen des Lebens wieder ihr Recht gegeben, während sie der Katholicismus mit Scheu betrachtete. Zum erstenmal seit Paulus sagt Luther: alles ist euer, ihr habt die Religion durch Liebesthat im Beruf zu üben. Statt der lastenden Aufgabe in jedem Augenblick alles mögliche gute zu thun ist einfache Bewährung des Gottvertrauens im Beruf und Liebesdienst gesetzt. Der Christ ist ein freier Herr aller Dinge im Glauben, in der Liebe ein Knecht aller: Diese Freiheit ist an kein Buch an kein Sakrament, sondern an die Person Christi gebunden. Andrerseits aber ist der Mensch in diesem Leben ein Knecht aller Dinge in der Leibe. Das ist anfangs bei Luther noch äusserlich verbinden, später [136] vereinigt. Der Gedanke schliesst sich ab im Gedanken der stetigen Freude.

Daneben gehen bei Luther mehrere andere Gedankenreihen. Das kommt daher dass Luther seinen klaren Gedanken über die Schrift nicht durchgeführt hat. 2) dass er aus der Einsicht, die alten Symbole lehrten Vergebung der Sünde durch Christus und dass sie Christus als den darstellten, in dem wir Gott erfassen, sich mit diesen identifizierte ohne die alte Dogmengeschichte zu kennen. 3) Zeitgeschichtliche Bedingungen: der Kampf mit den Widertäufern [!] und mit Zwingli: die Nötigung, eine neue Kirche rasch zu etablieren ohne möglichst aus der Kirche auszuscheiden.

Der Unterschied zwischen dem lutherischen und dem reformierten Typus ist sehr verschieden bestimmt. Herzog und Schweizer: Luther opponiert judaistischer Verirrung, Zwingli opponiert heidnischer Verirrung; andere: Luther: Gnade und Liebe; Zwingli und Calvin: Ehre Gottes. ... Luther: freie Gnade in Christo; Calvin: Praedestinationslehre; diese aber hat Calvin von Luther gelernt (de servo arbitrio). Diesen Gedanken hat Luther als Theologie nie aufgegeben, obwohl er nicht eigentlich religiös ist und zum Akosmismus führt. Luther soll die Gefahr haben zum Monophysitismus, Calvin zum Nestorianismus. Das ist schon wieder philosophisch, im religiösen sind sie gleich. Luther soll Sünde und Gnade tiefer erfasst haben. Zwingli hat einige unvorsichtige Äusserungen. Aber Luthers terrores conscientiae sollen doch nicht typisch sein für jeden Christen, wenn sie auch Luther besonders vorbereitet haben zum Reformator.

Zuerst zeigt sich ein Unterschied im Umfang des Gesichtskreises und [137] den Mitteln. Zwingli will im eignen Vaterland durch konkrete Verbesserung reformieren. Er wusste, was er praktisch wollte, als er auftrat, Luther nicht, er wurde innerlich getrieben zu reden. Er beschränkt sich darauf das Evangelium zu verkündigen, die Lehre von der Schule der Scholastik zu befreien und Anwendungen für die möglichst geringe Verbesserung des Cultus. Alles übrige überlässt er der Zukunft, ärgert sich, dass er über so vieles gefragt wird, was er nicht versteht. Er war eine positive Natur, jede negative Action war ihm ein Zwang. Zwingli aber sieht klar was zu thun ist. Zürich ist klein und er macht keinen Unterschied zwischen den Christen in Zürich und der Staatsgemeinde Zürich. Nach Luther ist das was dem Staate gebührt, von der Sphäre der Kirche zu scheiden, obwohl der Staat christlich sei soll. Christus regnum est spirituale wird gebaut per evangelium solum. Hiergegen sagt Zwingli Regnum Christi est externum, nicht sofern es auf äussern Ordnungen beruht, sondern sofern es sich erkennbar darzustellen hat in der christlichen Zucht, die eine Staatsgemeinde durchwaltet. Das führte zu gesetzlicher Regelung des religiösen Verhaltens und zur Gewaltausübung in kirchlichen Dingen. Weiter noch ging als Zwingli Calvin. Trotzdem haben die reformierten Kirchen meistens eine viel selbständigere Stellung zum Staat. Luther und seine Freunde übergaben die bischöfliche Jurisdiktion als Notlage dem Landesherrn. Das ist dann geblieben. Die reformierten Gemeinden setzten entweder in einem kleinen Kreis ihr Ideal durch oder sie traten aus dem Staat aus oft mit Revolutionsbewegungen. Das Luthertum wollte keine äusserliche Ordnung gründen. Bei Calvin tritt das theokratische Element die Überzeugung, dass kein christlicher Jüngerkreis bloss durch Evangelische Predigt, sondern nur durch Zucht gegründet werden kann, stärker hervor. Calvin ist Schüler [138] Luthers; über Zwingli hat er abschätzig geurteilt. Er war Franzose, Landsmann des heiligen Bernhard, später der Hugenotten. Das sind ähnliche Charaktere. Er selbst hatte neben der grossen Arbeitskraft kein Bedürfnis nach Erholung. Trotzdem wusste er das mit der evangelischen Freiheit zu verbinden. Seine Genfer Verfassung war der Theorie nach zwar nicht theokratisch, aber in der Ausführung. Er getraute sich die festesten Ordnungen für eine grosse blühende Stadt aufzustellen, wie sie sonst nur einzelne Familien oder Klöster kennen. Luther traut ganz auf die Predigt des Evangeliums, der Glauben ist die einzige nata eccl. Bei Zwingli und Calvin tritt daneben der Begriff der Zucht. Luther ist Reformator. Zwingli und Calvin sind Kirchenstifter und das mit Bewußtsein. Für Calvin war der Catholicismus nicht die Mutter der Kirche wenn er auch eine religiöse Nebenströmung anerkannte. Luther konnte wohl mit einzelnen unsanft fahren, die katholische Kirche hielt er hoch. Zwingli hatte nur in seiner Stadt Zürich Glück, in der übrigen Schweiz setzte er seine Kirchenordnung nicht durch. Auch die reform. Kirchen in Deutschland haben nie die Neufassung Zwinglis durchgeführt. Sie passte nicht auf Deutschland, wohl auf die romanisch anglikanischen Nationen. Luther traute sich nicht eine Gemeinschaft auszusondern, er wünschte es sich aber hielt es für unmöglich. Es ist möglich, dass es einmal eine Zeit giebt, wo es geht, aber jetzt ist sie noch nicht.

Wenn aber nur das praktische Interesse an dem Kirchenausbau entscheidend ist, so liegt kein Grund vor die Kirchen liturgisch zu trennen. In der Reformationszeit bildeten sich allerdings einige trennend Dogmen, dazu gehört nicht die Prädestionationslehre, die nur in einer scholastischen Zeit so grosse Bedeutung gewonnen hat. Das wichtigste ist die Abendmahlslehre. Doch sollte [bricht ab]

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