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Symbolik §56

§56. Die Sünde, die Erbsünde, der Urstand und die bürgerliche Gerechtigkeit

Da nach evangelischer Anschauung das christliche Gute allein in dem gläubigen Vertrauen zu Gott und in der kindlichen Furcht und Liebe zu ihm besteht so wird das Wesen der Sünde vom Standpunkt des Gerechtfertigten aus als der Mangel des Vertrauens der Furcht und der Liebe bezeichnet. Dieser Mangel hat die Concupiscens, die böse Eigenlust zur Folge, welche bei dem Menschen, der nicht am höchsten Gute hängt eine unbedingt nötigende Wirkung ausübt und alles Denken und Handeln in widergöttliche Richtung bestimmt. Von diesem Sündenzustande wird gelehrt, 1) dass sich alle Menschen von Geburt an in ihm befinden, so dass er das charakteristische der natürlichen Menschheit ist, 2) dass er geschichtlich entstanden ist nämlich durch Adams Fall, 3) dass er Schuldgefühl und Schuld ist, weshalb ihm als Strafe der ewige Tod innewohnt. Zu tage tritt diese Gattungs- oder Erbsünde in dem gänzlichen Mangel an rechter Erkenntnis Gottes (der Mensch muss sich Idole bilden und je ernster er ist um so furchtbarer), ferner in der völligen Unfähigkeit die Selbstsucht zu überwinden und den göttlichen Willen zu thun, also in Abgötterei und Unsittlichkeit. Dieser Zustand ist eine totale Verkehrung des ursprünglich durch die Schöpfung gesetzten Standes und Zweckes der Menschheit. Denn Gott hat diese zu seinem Ebenbilde geschaffen, welches in dem Vertrauen und in der Liebe zu Gott bestand (justitia originalis). Der Verlust dieses Gutes bedeutete also den wirklichen Verlust des göttlichen Ebenbildes, mithin ist die Erlösung durch Christus nicht nur eine Verbesserung oder Erhebung des menschlichen [180] Geschlechtes sondern die Wiederherstellung des ursprünglich gesetzten Standes und Zweckes der Menschheit (neue Kreatur). Conf. Aug. 2 u. 18; Art. Smal III 1; Gr. Kat (p. 453); F.C. art 1 u. 2; Basil I Helv. I Kat. Gal. usw.

Meisterhaft ist die Darstellung und Formulierung der Conf. Aug. art. 2: Sünde ist esse sine fiducia erga Deum et metu Dei [vgl. CA 4: omnes homines ... nascantur cum peccato, hoc est, sine metu Dei, sine fiducia erga Deum et cum concupiscentia] also nicht ein sündiger habitus, wie er sich in bestimmten Unsittlichkeiten darstellt, es ist vielmehr »keinen Gott haben«. Das versteht freilich der nicht, der die Erfahrung nicht gemacht hat, was es heisst einen Gott zu haben. Der richtige Gottesbegriff findet sich empirisch nur da, wohin die geschichtliche Tradition von Christus hingedrungen ist. Schon Augustin hat herrlich ausgeführt, dass, wo der amor Dei fehlt, der amor sui tritt [!]. Im Katholizismus aber tritt sogleich der Gedanke des sinnlichen ein. Luther bleibt beim religiösen. Er lies daher eine andere Beurteilung eintreten, er mass die Sünde nicht an einem Gesetz, sondern an einem Gut. Dieser sündige Zustand geht auf Adam zurück ist unnatürlich und Schuld. Selbst gegenüber der Naturwissenschaft ist die Spekulation unausweichlich, dass der empirische Zustand des Menschen ein nicht sein sollendes als auch nicht ein ursprüngliches ist. Freilich über die Spekulationen von Adams Fall denken wir jetzt anders. Die geschichtliche Form ist nicht haltbar obwohl der Kerngedanke unzweifelhaft richtig ist. Die älteren Symbole lassen sich auch nicht genauer darauf ein. Der Zustand nun ist vere peccatum, jeder der freies Denken erlangt hat fühlt sich verschuldet und von diesem Gefühl hilft keine Spekulation los. Das Seligkeitsgefühl entscheidet, selbst die penibelste Sittlichkeit treibt immer mehr in der Unseligkeit hinein, sofern sie nicht getragen ist von dem Gottesbewußtsein. [181]

Glaube ist hier gemeint nicht als ein Haften an einer Menge von Lehrsätzen, sondern trauen auf seine Verheissungen (Luther, von der Freiheit eines Christenmenschen, wahre Seligkeit besteht in der Zuversicht auf Gott), Unglaube, Sünde ist das Fehlen der lebendigen Zuversicht auf Gott.

Die Bekenntnisschriften machen keinen Unterschied zwischen Erbsünde und Thatsünde, während die katholische Dogmatik 3fach schied. Unterschiede macht die Policei, nicht die Religion, die nur eine Sünde kennt, für die in Jesus Christus Erlösung ist. In erster Linie steht das {carere} timore et fiducia erga Deum dann erst concupiscentia und zwar nicht nur in der niederen Sinnlichkeit (Apol. 81.25; 82.26). Gemeint ist auch der Stolz und der Hochmut des Herzens. Alle Sünde gilt als Schuld. Das weicht von der römischen Lehre ab. Die Symbole stützen sich nicht auf rationale Beweise, sondern auf das Bewusstsein sowohl des Sünders als des Gerechtfertigten. Die katholische Kirche ist geneigt, das göttliche Ebenbild eigentlich in die vernünftige und freie Anlage zu setzen, neben der die justitia originalis als superadditum steht. Diese fällt bei dem Sündenfall weg, jene bleibt wenn auch verdunkelt. Die evangelischen Confessionen lehren, das Ebenbild bestehe in der Furcht und Liebe zu Gott, das ist kein superadditum sondern dem Menschen wesentlich. Hat er's verloren, so hat er seinen Zweck verfehlt. Die psychologische Frage bleibt hier ausser betracht (Apol. 80; FC; Heid. Cat. 6). Die justitia originalis wird so in den Lebenszweck des Menschen gesetzt. Damit wird die Erlösung der Act Gottes, durch den er uns unseren Zweck wiedergiebt. Es ist also kein überweltlicher Zustand, in den der Erlöste erhoben wird, wie die katholische Anschauung will und so zum Mönchstum kommt. Nach evangelischer Auffassung wird der Mensch als Creatur, in seiner Weltstellung beseligt. Daher auch der Seligkeitsbegriff bei der römischen Kirche reine Visio Dei, kon[182]templierend, bei der evangelischen Kirche thätig, schon in der Zeit bleibend und daher auch als ewig erhofft.

Flacius behauptete die Sünde sei Substanz des Menschen geworden. Die F.C. führte aus, sie sei nur unvermeidliches Accidens, jenes sei Manichaeismus und beleidige Gott den Schöpfer. Flacius verstand unter Substans den Willen, schied substantia materialis (das Gesetz und {Gesinnung} in Absicht, Vorsatz und Entschluss) und forma substantialis (Richtung des Willens), nur diese ist verändert. Die Gegner operierten mit aristotelischen Begriffen substans = das ansich seiende. Accidens was hinzutritt oder hinweggenommen werden kann ohne dass das Substans verändert wird. Sie fassten das flacianische Substans in ihrem Sinne. Die F.C. hat gute Fingerzeige.

Besonders der F.C. wird vorgeworfen, sie habe eine Lehre, wo kein freier Wille mehr sei (589), ebenso aber auch C.A. (non habet liberum arbitrium). Die F.C. richtet sich gegen Melanchthons facultas sese applicandi ad gratiam. es handelt sich nicht um das Thun von Gutem, sondern um die Spiritualia, d.h. metus amor fiducia erga Deum. Hierzu kann der Mensch nur gelangen, ohne dass ihm in Christus Gott aufleuchtet.

Im bürgerlichen Leben gestehen die Reformatoren durchaus freiwillig die Fähigkeit zur Wahl zwischen einzelnem Guten und Bösen. Bestritten wird nur, dass er eine Kraft entwickeln kann, welche alles dies zusammenfasst. Wer Religion nicht kennt, kann denken man fordere da Utopisches oder man verkümmere die Moral, wenn man sagt, es ist ein anderes, ob man die justitia civilis an sich erfüllt oder aus dem religiösen Zusammenhang mit Gott heraus. Wir müssen bei anderen alles Gute aufs höchste schätzen, bei uns aber dürfen und müssen wir ur[183]teilen, dass alle unsere Handlungen, die wir ohne Rücksicht auf Gott thun splendida vitia sind. Nur die in Gott gethanen Dinge sind gut.

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