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Reflexionen und Maximen

Reflexionen und Maximen

Dies ist eine Sammlung prägnanter Sätze aus dem Werk Adolf von Harnacks. Zwar hat Agnes von Zahn-Harnack zu Recht angemerkt, daß solche Aphorismen nicht so sehr »Perlen zum Herausnehmen« sind, sondern »jedesmal das Ergebnis aus sorgfältig und mühsam zusammengetragenen geschichtlichen Tatsachen« (Z-H 359). Immerhin schließt eine solche Zusammenstellung an eine von Harnack selbst veranstaltete Sammlung an (RA 2, 371-379). Die dort enthaltenen Stücke sind hier nicht aufgenommen; die Zitate wurden teilweise leicht verändert (Großschreibung etc.).


Als »Archäologie« ist alle Geschichte stumm.
(WdC III)

An der Frucht erkennt man den Baum; man darf aber die Frucht nicht an der Wurzel suchen.
(MAC 40)

Auf Taten kommt es in der Geschichte an oder vielmehr auf Gedanken, die zu Taten werden und neue Formen schaffen.
(EEK 120)

Bei dem Vacuum des Geheimnisses kann weder die Phantasie noch die Reflexion verharren.
(LDG 1, 229)

Das Dogma hat stets im Fortgang der Geschichte seine eignen Väter verschlungen.
(DG 5; vgl. LDG 2, 28; vgl. Die Briefsammlung des Apostels Paulus. 1926, 1)

Das Überkommene erstarrt, wenn es unbewegt bleibt; es legt sich wie eine Decke von Eis auf alles Lebendige, wenn es nicht durchbrochen wird.
(ChW 14 (1900) 19)

Dass es dem Katholicismus vergönnt worden ist, sich selber zu verstehen, verdankt er vornehmlich der Reformation.
(LDG 3, 693)

Dem umbildenden Wirken der Zeit vermag sich nichts Lebendiges zu entziehen.
(EEK 87)

Den Unterschied von liberal und konservativ machen hauptsächlich die, die beides nicht sind.
(AvH u.d.Ev.-Soz.Kongreß, ed. Merz. 1930, 24)

Der flagrante Widerspruch, dass etwas zugleich nicht gilt und gilt, kann nur die Lösung finden, dass es nicht gilt.
(LDG 3, 683)

Der Glaube ist nicht jedermanns Ding, und die Religionsgeschichte, sofern sie wirklich Geschichte der lebendigen Religion ist, läuft stets nur auf einer schmalen Linie.
(MAC 36)

Der historische Naturalismus hat wie der naturalistische Roman an der Langweiligkeit seine Grenze.
(11.9.1896 an Gustav Krüger; NL Harnack, Kasten 35, Bl. 70)

Der Idealismus des Wirklichen wird, wenn er ernst und tief ist, zur Wirklichkeit der Ideale gelangen.
(RA 6, 201)

Der Katechismus der Religion des Evangeliums ist kurz.
(ThLZ 12 (1887) 85)

Die Aufgeklärten sind nicht immer die Muthigen.
(GA [1901] 431)

Die Dinge haben ihre eigene Logik.
(LDG 3, 684)

Die einzig berechtigte Kritik geschichtlicher Prozesse ist die, welche man von den Prozessen selbst abzulesen vermag.
(ECT 5)

Die Ermittlung und liebevolle Betrachtung des persönlich Sympathischen ersetzt nicht den Wegfall strenger Gesichtspunkte, wenn es gilt, Geschichte zu schreiben.
(ThLZ 3 (1878) 260)

Die evangelische Wahrheit kann nur dann eine Kraft bleiben, die uns trägt, wenn wir nichts an ihr zu tragen haben.
(ThLZ 13 (1888) 55)

Die Geschichte ist die am wenigsten exacte, aber alle tiefere Bildung beherrschende Wissenschaft.
(GA [1901] 660)

Die Geschichte jeder Religion ist in einer Richtung ihrer Entwicklung die Geschichte der Versuche, sich die Religion zu erleichtern.
(Sm 508, 89)

Die Geschichte vermag nicht, wenn sie ein Neues heraufführt, mit zarten Rücksichten zu arbeiten.
(Hohenzollern-Jahrbuch 4 (1900) 188)

Die historische Methode ist konservativ; denn sie sichert die Ehrfurcht - nicht vor der Überlieferung, sondern vor den Tatsachen.
(RA 2, 166)

Die Kirche hat niemals Alles, was sich christlich genannt hat und nennen durfte, umfasst.
(LDG 2, 69)

Die konsequente Gestalt der protestantischen Frömmigkeit ist die Freiheit.
(RA 3, 269)

Die meisten Menschen denken überhaupt nicht, oder sie denken in den rohesten Kontrasten.
(MAC 305)

Die Menschen finden sich gerne durch eine religiöse Theorie mit der Religion selbst ab.
(LDG 1, 50)

Die philosophische Umdeutung einer Religion wird immer nur auf solche Eindruck machen, auf die die Religion selbst schon Eindruck gemacht hat.
(LDG 1, 275)

Die »Religion der Schrift« bietet an sich noch keine Garantie für den sicheren Kontakt mit dem Evangelium.
(DG 128)

Die Sprache ist nicht bloß eine Scheide, worin das Messer des Geistes steckt, sondern sie ist ein Teil des Messers selbst.
(Sm 761b, 80)

Die Theologie, als Wissenschaft, kann das Tiefste und Heiligste nur als Grenze erreichen und soll und muß sich bescheiden, das Erkennbare zu erkennen.
(an Wilhelm II)

Die wirklichen Zustände sind abgestufter und mannigfaltiger, als daß man ihnen mit einem einfachen Entweder-Oder zu Hilfe kommen könnte.
(ChW 26 (1912) 1249)

Die Zeit macht auch contradictorische Widersprüche erträglich, ja heiligt sie gewissermassen.
(LDG 3, 13)

Durch Programme allein ändert man nichts.
(GA [1901] 643)

Ein Buch, das niemals gelesen wird, hat seinen Beruf verfehlt.
(RA 5, 230)

Ein grosser epochemachender Mann ist wie ein Strom – die kleineren Bäche, die vielleicht tiefer im Lande entsprungen sind, gehen in ihm unter, nachdem sie ihn gespeist, aber die Richtung seines Laufes nicht verändert haben.
(LDG 3, 33)

Ein virtuoser Bohrer ist noch kein virtuoser Baumeister!
(ThLZ 1912, 14 über Overbeck)

Eine gute Erklärung braucht nicht immer die richtige zu sein.
(ThLZ 1891, 147)

Eine heilige Urkunde, tausend Seiten stark, vom Finger Gottes geschrieben, ist für das schwache Menschengeschlecht eine unerträgliche Last, ob man sie nun liest oder nicht liest.
(BENT V, 6f)

Einer blossen Deutung gegenüber streicht man doch nicht die Segel und wirft die Ladung über Bord!
(KS 1, 227)

Erklären ist leicht, richtig zu erklären ist schwer!
(RA 4, 158)

Es gab und gibt noch ein stärkeres Interesse als das der Frömmigkeit, nämlich das der Wahrheit.
(LDG 2, 339)

Es gibt nichts Intoleranteres als die Wahrheit; sie kennt keine Konzessionen.
(RA 1, 166)

Es giebt drei Worte, die man niemals ohne Coefficienten brauchen sollte, Selbstbewußtsein, Schwärmerei und Eudämonismus.
(30.12.1885 an Loofs; ULB Halle, Yi 19 IX 1445)

Es gibt führende und ausführende Gelehrte.
(KS 1, 418; vgl. RA 6, 327)

Es ist bequemer, über eine Sache zu sprechen, als sie selbst genau zu erforschen.
(KS 1, 486)

Es kommt zunächst auf die Tatsachen an, dann erst auf die Betrachtung.
(EEK 167)

Fließendes kann man nicht anders erkennen, als indem man es künstlich zum Stehen bringt.
(An Loofs (1884); ULB Halle, Yi 19 IX 1437)

Für das, was sich in dem Nachlaß eines Mannes findet, darf er nicht zur Verantwortung gezogen werden.
(BENT V, 13)

Für eine an sich richtige und groß gedachte Idee kommt immer ein Zeitpunkt, in welchem sie sich auf eine würdige Weise verwirklichen wird.
(Hohenzollern-Jahrbuch 4 (1900) 191)

Gegen positive Beobachtungen darf man nicht die Dunkelheiten in's Feld führen, welche jene Beobachtungen noch immer übrig lassen.
(Sm 321, 130)

Genau genommen kennt die Wissenschaft keine Richtungen, sie kennt nur Fortschritte oder Rückschritte.
(Verh. d. verfassunggebenden Nationalversammlung 4/1920, 217)

Ich möchte nicht in einer Welt leben, die den deutschen Idealismus nicht mehr kennt.
(RA 5, 346)

In dem Werke stellt sich das Wesen einer Sache am sichersten dar.
(RA 3, 99)

In den Vorarbeiten steckt die Arbeit.
(ThLZ 1897, 484)

In der geistigen Arbeit wie in der mechanischen kann man sich nur auf das stützen, was Widerstand leistet.
(RA 2, 350; vgl. RA 6, 260. In ThLZ 1881, 152 als Spruch zitiert: »On ne peut s'appuyer que sur ce qui résiste«.)

In der Religion wie in der Kunst leben wir nicht von Ideen, sondern von den Kräften, die es zur That gebracht und uns auf eine höhere Stufe gehoben haben.
(LDG 3, 691)

Je genauer Geschichte erzählt wird, desto unsicherer wird sie.
(KS 2, 190)

Jede Theologie, welche darauf angelegt ist, innere Ueberzeugungen zu erwecken und eine Einheit des Denkens herzustellen, wird in irgend welchem Masse ihre Schüler auch zur Kritik des Bestehenden anleiten.
(LDG 3, 666)

Jeder Gedanke gehört von Rechtswegen dem, der den besten Gebrauch von ihm macht.
(LDG 3, 132; vgl. RA 1, 18 und RA 5, 5)

Luther ging auf das Wesen der Religion zurück, um die Christen vom »Religionswesen« zu befreien.
(ThLZ 1911, 303)

Man bricht nicht mit der Geschichte, ohne sie zu verdunkeln.
(RA 1, 167)

Man gerät leicht in neue Irrtümer, wenn man sich in einer halbwahren Fragestellung, sei es auch um sie zu widerlegen, bewegt.
(EEK 173)

Man muß die Menschen auf das Gesunde, die edle Tat, lenken, wenn man sie bessern will; das fortgesetzte Reden über Sünde und Vergebung übt eine narkotische Wirkung aus.
(MAC 143)

Man rettet sich bedeutenden Menschen gegenüber nur durch die Liebe. Es gibt keinen andern Weg.
(RA 7, 28)

Man wird in der Wissenschaft sicherer durch einen großen Irrtum und durch kecke Behauptungen »unsterblich« als durch ihre Widerlegung.
(Internationale Monatsschrift 7 (1913) 1039)

Mancher Stein, der in älteren Zeiten hat mittragen helfen, ist im Wechsel der Zeit zum Stein geworden, der im Wege liegt.
(RA 1, 259)

»Mögliches« gilt in der Geschichte nicht.
(DG 81)

Nicht mit ungewöhnlichen Worten Gewöhnliches sagen, sondern umgekehrt mit den einfachsten Worten Ungewöhnliches.
(RA 6, 40)

»Nicht zu spekulieren« führt unter Umständen auch zu einer Metaphysik.
(LDG 3, 510)

Nichts bildet sich schneller als eine Tradition.
(LDG 2, 282)

Nichts Dauerndes in der Geschichte kann improvisiert gewesen sein.
(KSG 136)

Nur das Werk ist groß, welches sich immer wieder aus sich selbst erneut.
(Sm 1249, 63)

Nur die triviale Wahrheit ist siegreich. Ein Gedanke, an dem es noch etwas zu denken gibt, hat keine Aussicht in weiten Kreisen anerkannt zu werden.
(BENT III, 211)

Prinzipielle Förderung entstammt nur als reife Frucht konkreter Bemühung. Die Rezepte helfen wenig oder nichts.
(9.9.1896 an Gustav Krüger; NL Harnack, Kasten 35, Bl. 67)

Revolutionen werden nicht mit Rosenwasser gemacht.
(MAC 127)

Sakramente sind überall willkommener als Sittenpredigten.
(MAC 129)

»Tradition« ist immer das, was die Gegenwart nötig hat, unter die Autorität der Vergangenheit gestellt.
(BENT VI, 34)

Treibe jeder seine Arbeit so, als sei er der Einzige, der sie machen kann.
(ZNThG 3 (1996) 154)

Über die tauben Nüße, die einen wahrhaften Kern heucheln, kommt schließlich der Nußknacker.
(25.12.1913 an Jülicher; UB Marburg, NL Jülicher, Ms. 695/424)

Über Wahr und Falsch kann man sich einigen, ob aber das Wahrscheinliche wirklich wahrscheinlich ist, darüber vermögen sich nur die zu einigen, welche in derselben Etage wohnen.
(20.8.1914 an Loofs; ULB Halle, Yi 19 IX 1645)

Unsere Forschungen gleichen einem Gewirre sich stoßender Eisschollen; nur wer auf hoher Warte steht, wird gewahr, daß sie langsam doch in einer Richtung treiben.
(ChW 26 (1912) 179)

Was einen vollkommenen Widerspruch enthält, kann nicht richtig sein.
(LDG 2, 225)

Was in sich haltlos und voll Widersprüchen ist, kann doch eine Macht sein.
(LDG 3, 672)

Was geht einen lebendigen Menschen die Frage nach dem Absoluten an?
(M 231)

Wenn dem Geist die Flügel wachsen, bedarf er keiner Krücken.
(DG 142)

Wenn der Geist ausströmt, strömt die Autorität ein.
(KS 2, 801)

Wer einen sichern Maßstab zu haben glaubt, soll ihn anwenden.
(RA 2, 366)

Wer nur in einem absoluten Wissen selig ist, der wird entweder blind gegen die Geschichte oder sie wird ihm zum Haupt der Meduse.
(LDG 3, 125)

Wie die Sonne »kein Weisses duldet«, so duldet die Tradition kein Unbestimmtes.
(KS 1, 443)

Wie in der Welt der Natur, so auch in der Geschichte, bricht die Sonne niemals aus der Nacht hervor, sondern immer aus der Morgenröte.
(Verh. d. 10. ev.-soz. Kongr. 1899, 33)

Wie oft ist in der Geschichte die Theologie nur das Mittel, um die Religion zu beseitigen!
(WdC 31)

Wir müssen hoffen, dass die Kirche zu Ende geht, doch so dass ihre Wahrheit bestehen bleibt.
(Symbolik), Berlin 1890/91, Vorlesungsnachschrift von Dobschütz 66

Wir wollen uns doch nicht zu den trüben Historikern gesellen, die niemanden ertragen können, der einen Kopf größer ist als sie selbst.
(NSM 20)

Wo jedes Factum nur darauf angesehen wird, was man damit im Interesse der Kirche »anfangen« kann, da wird der historische Sinn mit der letzten Wurzel ausgetilgt.
(ThLZ 1880, 608)

Wo Propheten aufstehen und Anklang finden, da folgen Fälschungen auf dem Fuße.
(LDG 3, 431)

Wo Schiffe fehlen, darf man den gebrechlichen Nachen nicht verschmähen.
(KS 1, 718)


Siglenverzeichnis

BENT - Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament
ChW - Die Christliche Welt
DG - Grundriß der Dogmengeschichte (6. Aufl. 1922)
EEK - Entstehung und Entwickelung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts
GA [1901] - Geschichte der Königlich preußischen Akademie. Ausgabe in einem Band (Berlin 1901)
KS - Kleine Schriften zur Alten Kirche (ed. Dummer)
KSG - Kirche und Staat bis zur Gründung der Staatskirche
LDG - Lehrbuch der Dogmengeschichte (4. Aufl. 1909/10)
M - Marcion (2. Aufl. 1924)
MAC - Mission und Ausbreitung des Christentums (4. Aufl. 1924)
MC - Militia Christi
NSM - Neue Studien zu Marcion
RA - Reden und Aufsätze
Sm - Smend, Verzeichnis (ed. Dummer)
ThLZ - Theologische Literaturzeitung
WdC - Das Wesen des Christentums (Leipzig 1929)
Z-H - Agnes von Zahn-Harnack, Adolf von Harnack (1936)

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