Tränenabwischen (Apk 21,1-6)
Predigt von Prof. Dr. Enno Edzard Popkes im Universitätsgottesdienst zum Buß- und Bettag am 20. November 2024 in der Marktkirche
Was können wir wissen? Was sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist der Mensch? Diese Fragen sind ihnen sicherlich nicht unbekannt. Sie gehen zurück auf jenen großen Denker, dem unsere Predigtreihe „Das Ende aller Dinge“ ihren Namen verdankt.
Immanuel Kant wollte mit diesen Fragen zentrale Anliegen seines Denkens zur Geltung bringen. Und diese Fragen können wir auch auf unseren Predigttext beziehen. Unser Predigttext bringt eine große Hoffnung zur Sprache: Das Leben im hier und jetzt, in der vorfindlichen, materiellen Welt ist nicht alles. Es gibt eine Hoffnung, die weit über dieses Leben hinausgreift. Eine solche Hoffnung dokumentieren alle Traditionen des frühen Christentums. Mit einem besonderen Nachdruck fasst dies der Apostel Paulus in Worte. Er hebt gegenüber der Gemeinde in Korinth hervor: „Wenn wir alleine in diesem Leben auf Christus hoffen, wären wir – so der Apostel – die Menschen, die man meisten zu bemitleiden sind“ (1 Kor 15,19).
Gleichwohl bringt keine andere Schrift des biblischen Kanons diese Hoffnung so deutlich zur Geltung, wie dies bei der Offenbarung des Johannes der Fall ist. Der Text unser Predigt ist die Eröffnung einer Vision, der Vision eines neuen Himmels und einer neuen Erde, die Vision eines neuen Jerusalems. Diese Vision ist die mit großem Abstand ausführlichste Beschreibung einer eschatologischen Vollendung, die wir in den biblischen Zeugnissen finden. Doch bereits die einleitenden Worte dieser Vision – also der Text unser Predigt – konfrontieren uns mit Vorstellungen, die uns an den Rand dessen führen, was wir uns vorstellen können. Schauen wir allein auf den vierten Vers unseres Textes:
„Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen“. Dies umschreibt eine Hoffnung, die auch in anderen Schriften des frühen Christentums als eine zentrale Hoffnung benannt wird: Die Hoffnung auf ein ewiges Leben. Doch was können wir uns unter diesem großen Wort vorstellen: Ewigkeit. Es wurde bereits vielfach kritisch angemerkt, dass Ewigkeit doch nicht als eine unbegrenzt lange Zeit gedacht werden kann. Entsprechend wurde erwogen, ob der Begriff Ewigkeit eine Aufhebung der Zeit bezeichnen soll? Doch wie sollen wir uns eine solche Aufhebung der Zeit vorstellen? Entsprechende Fragen könnten wir auch in Bezug auf andere Hoffnungen formulieren, die unserer Predigttext vermittelt. Mit anderen Worten: Diese Hoffnungen bringen uns schnell an die Grenzen dessen, was wir denken können, an die Grenzen dessen, was wir wissen können.
Unser Predigttext bietet uns jedoch auch eine Möglichkeit, die Zugangsperspektiven zu diesen Hoffnungen zu ändern. Diese Perspektiven eröffnen sich, wenn wir nicht nur auf die Eschatologie schauen, sondern auch auf die Protologie. Also nicht nur auf das Ende aller Dinge, sondern auch auf den Anfang aller Dinge. Diesbezüglich vermittelt unser Text eine bemerkenswerte Aussage. Es geht um die zentrale Bezugsgröße jener wissenschaftlichen Disziplin, der ich mich mit großer Freude widme, nämlich der Theo-logie. Wörtlich übersetzt bedeutet Theologie in etwa ,Wissenschaft von Gott‘ oder ,Gottesgelehrsamkeit‘. Doch wer oder was soll das sein, was wir – zuweilen leichtfertig – mit dem Begriff ,Gott‘ bezeichnen?
In Bezug auf diese Frage macht unser Text eine bemerkenswerte Aussage, und zwar insbesondere dann, wenn wir den Kontext der heutigen Predigt bedenken, nämlich den Kontext eines Universitätsgottesdienstes.
In dem Predigttext spricht dieser Gott uns nämlich unmittelbar an. Er stellt sich uns vor als das Alpha und das Omega, als den Anfang und das Ende.
Doch was ist – wissenschaftlich betrachtet – dieser Anfang?
Im Rahmen einer universitas litterarum gibt es verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, in denen darum gerungen wird, die Anfänge unseres Universums im Generellen und die Anfänge unserer Existenz als Menschheit im Speziellen zu verstehen. Eine dieser Disziplinen fasziniert mich seit meiner Kindheit, nämlich die Astronomie. Es war wiederum der Namensgeber unserer Ringvorlesung, der die Faszination der Astronomie in einer sehr berührenden Weise in Worte fassen konnte.
Ich erinnere an jene berühmten Worte, die Immanuel Kant zum Beschluß seiner Kritik der praktischen Vernunft formulierte:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“
Diesen Worten kann ich voll und ganz zustimmen, und zwar insbesondere dann, wenn wir bedenken, was Kant in dieser Weise noch gar nicht wissen konnte, nämlich die unfassbaren Dimensionen jenes bestirnten Himmels über uns.
Bereits die zeitlichen Dimensionen unseres Universum führen uns an den Rand dessen, was wir uns vorstellen können. Im Sinne der Urknall-Theorie existiert das für uns sichtbare Universum seit ca. 13,8 Milliarden Jahren. Was sind im Vergleich zu einer solchen Zeit schon jene wenigen Jahrzehnte, welche die Spanne eines menschlichen Lebens umfassen. Doch noch unvorstellbarer sind meines Erachtens die räumlichen Dimensionen, die das sichtbare Universum zu erkennen gibt. Bereits jene Dimensionen des Universum, die wir sehen können, haben eine Größe, die unser Denkvermögen vollkommen sprengt: Wir wissen inzwischen, dass es allein in unserer Galaxie, der Milchstraße, mehrere hundert Milliarden Sterne gibt. Wir wissen inzwischen aber auch, dass es in dem für uns sichtbaren Universum mehrere hundert Milliarden Galaxien gibt. Und wohl gemerkt: Dabei geht es nur um das für uns sichtbare Universum. Viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Astronomie vertreten die Ansicht, dass es nicht-sichtbare Dimensionen des Universums gibt, die weit größer sind als die sichtbaren.
Und was geschieht, wenn wir diese astronomischen Erkenntnisse wiederum mit unserem Predigttext in Beziehung setzen?
Wie bereits erwähnt stellt sich Gott in jenem Text als derjenige vor, der der Anfang von allem ist. Doch wenn wir bereits größte Schwierigkeiten haben, die Größe und Struktur des Universums zu verstehen, wie sollen wir dann verstehen, was die Ur-sache dieses Universums ist?
In diesem Zusammenhang möchte ich auf die letzte jener vier Fragen von Immanuel Kant verweisen, die ich eingangs zitiert habe: Was ist der Mensch? Was ist der Mensch inmitten dieses Universums, dessen Größe und Komplexität für uns kaum zu begreifen ist? Ist der Mensch dasjenige Wesen, das verstehen soll, warum es überhaupt ein Universum gibt? Ist der Mensch dasjenige Geschöpf, das verstehen soll, was der Schöpfer, also Gott, ist? Und soll der Mensch so auch erkennen, was er selbst ist?
In Bezug auf diese Fragen bringt unser Predigttext einen weiteren Sachverhalt zur Geltung, der meines Erachtens grundlegend für christliche Theologie sein sollte. Christlicher Glaube und christliche Theologie verstehen Gott nicht einfach nur als ein unnahbares metaphysisches Prinzip, als einen Gegenstand religionsphilosophischer Spekulationen. Christlicher Glaube und christliche Theologie vertreten vielmehr ein – wenn ich dies mit einem etwas trockenen Begriff benennen darf – personales Gottesbild. Schon verschiedene Traditionen der jüdischen Bibel dokumentieren den Glauben, dass die Menschen Kinder Gottes sind. Im Bewusstsein um die Grenzen unseres Denkens und unserer Sprache wage ich zu sagen: Gott ist ebenso die gute Mutter wie der gute Vater der Menschheit. Und zwar eine Mutter und ein Vater, mit denen man auch hadern kann – an denen man auch zweifeln darf (ich verweise lediglich exemplarisch auf die Klagepsalmen, in denen Gott auch vorgeworfen werden kann, dass sie bzw. er ihre Versprechen nicht eingehalten haben).
Die personalen Dimensionen eines biblischen Gottesbild werden im frühen Christentum nochmals zugespitzt. Seit dem frühen Christentum versuchen christlicher Glaube und christliche Theologie zu verstehen und zu vermitteln, was es bedeutet, dass der frühjüdische Wanderprediger Jesus von Nazareth eine Menschwerdung Gottes gewesen sein soll.
Gerade jene Zeit des Jahres, die in Kürze beginnt, regt uns an, zu bedenken, wer Jesus von Nazareth war. In der Zeit des Advents sollten wir immer wieder die Frage in Erinnerung rufen, warum Jesus gekommen ist.
Ich selbst schätze besonders jene Deutung des Kommens Jesu, die in den johanneischen Briefen und im Johannesevangelium überliefert wird. Bereits im ersten Johannesbrief finden wir eine Aussage, die von verschiedenen Kolleg*innen und Kollegen – und so auch von mir – für die bedeutendste Aussage des Neuen Testaments gehalten wird. Es geht um die ebenso kurze wie gewichtige These: „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16). Doch was bedeutet diese These konkret, insbesondere im Zusammenhang mit dem Glauben, dass Jesus von Nazareth eine Menschwerdung eben dieses Gottes ist. Auf diese Frage gibt das Johannesevangelium eine bemerkenswerte Antwort.
Der Prolog des vierten Evangeliums dokumentiert ein Phänomen, das bereits auf der Ebene einer neutralen religionshistorischen Betrachtung faszinierend ist – und zwar unabhängig davon, was man religiös über die Gestalt und Botschaft Jesu denkt. Der Johannesprolog bringt in einer prägnanten Sprache einen Glauben zum Ausdruck, der bereits in wesentlich älteren Zeugnissen des frühen Christentums bezeugt ist (vgl. 1 Kor 8,6; Phil 2,6-11; Kol 1,15-20, Hebr 1,1-4): Jesus von Nazareth war nicht nur ein vollmächtiger frühjüdischer Wanderprediger, der durch seine Heilungen eine große, überregionale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Jesus hat vielmehr bereits vor der Schöpfung der Welt bei Gott existiert und war an der Erschaffung der Welt beteiligt (Joh 1,1-3.9-10).
Entsprechend fasst der Prolog in Worte, was jenes Geschehen ist, das wir an Weihnachten bedenken: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns – und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14).
Wie der Prolog über Jesus spricht, so spricht der Jesus des Johannesevangeliums über sich selbst. Der johanneische Jesus nimmt für sich in Anspruch, dass er als der Sohn Gottes mit seinem Vater wesenseins ist (Joh 10,30). Wer ihn sieht, der sieht den, der ihn gesendet hat, also Gott (Joh 12,45-46; 14,8-9).
Dies sind wirklich provokante Worte, insbesondere für jene Religiosität, der Jesus selbst angehörte. Ein markantes Merkmal jüdischen Glaubens ist das Bilderverbot, also das Verbot, Gott darzustellen. Man kann leicht erahnen, wie provokant für jüdische Mitmenschen der frühchristliche Glaube gewesen sein muss, demzufolge in der Gestalt Jesu Gott sichtbar wird.
Eine solche Deutung der Gestalt und Botschaft Jesu kann mit einer Metaphorik umschrieben werden, die Martin Hengel geprägt hat: Es handelt sich um eine explosionsartige Entwicklung. Ein mittelloser Wanderprediger, der als politischer Aufrührer wie ein Verbrecher hingerichtet wurde, wird bereits wenige Jahre nach seinem gewaltsamen Tod als eine Menschwerdung Gottes verehrt.
Aber ist dieser Glauben nicht schlicht widersinnig? Der Schöpfer dieser Welt soll in seine eigene Schöpfung gekommen sein, um sich in dieser Welt hinrichten zu lassen?
Es ist leicht zu verstehen, wie die antike Umwelt des frühen Christentums auf eine solche Vorstellung reagieren konnte, nämlich mit Ablehnung, Hohn und Spott.
Ich verweise exemplarisch auf eine der älteste Anspielungen auf einen christlichen Glauben in dem sogenannten Alexámenos-Graffito, das wohl zu Beginn des dritten Jahrhunderts entstanden ist. Es handelt sich um eine Wandzeichnung, die in Form einer Karikatur einen Christen verspottet, und zwar einen Christen, der den gekreuzigten Jesus als seinen Gott anbetet – und dieser Jesus wird zudem noch mit dem Kopf eines Esels dargestellt. Bemerkenswert ist zudem, wo diese Karikatur gefunden wurde, nämlich in einem Gebäude der Domus Flavia, dem flavischen Kaiserpalast in Rom. Die römischen Kaiser wurden zuweilen wie göttliche Wesen verehrt, insbesondere im Zuge der sogenannten Apotheose, der Aufnahme der verstorbenen Kaiser in die Götterwelt. Manche Imperatoren ließen sich sogar bereits zu Lebzeiten wie eine Gottheit verehren. Vor diesem Hintergrund tritt die Eigentümlichkeit eines christlichen Glaubens an die Menschwerdung Gottes eindrücklich zutage: Der Schöpfer dieser Welt kommt nicht in der Gestalt eines prunkvollen Herrschers in die Welt. Er kommt vielmehr als ein mittelloser Wanderprediger – oder wie es die Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums veranschaulicht, die wir bald wieder hören werden: Die Menschwerdung Gottes vollzieht sich in ärmlichen Verhältnissen in einem Stall.
Wesentlich grundlegender und reflektierter als diese Karikatur war jene massive Kritik am frühen Christentum, die der Philosoph Kelsos formulierte. Seine nur in Fragmenten durch Origenes überlieferte Schrift trug nicht zufällig den Titel ,Alethés Logos‘, also der ,wahre Logos‘. Kelsos wirft seinen christlichen Mitmenschen vor, dass sie ein Wissen um den göttlichen Logos vereinnahmen und verfälschen, das in der Antike weit verbreitet war.
Und viele Vorwürfe, die bereits Kelsos erhoben hatte, wurden in der weiteren Geistesgeschichte immer wieder in verschiedenen Variationen als Kritik an christlichem Glauben wiederholt.
Derartigen Infragestellungen muss und soll christliche Theologie sich immer wieder stellen. Und christliche Theologie kann sich derartigen Infragestellungen stellen, indem sie – unter anderem – zur Geltung bringt, was dem Johannesevangelium zufolge der Sinn jener Menschwerdung Gottes in dem frühjüdischen Wanderprediger Jesus von Nazareth gewesen ist.
Der Jesus des Johannesevangeliums benennt selbst, warum er von seinem Vater in die Welt gesendet wurde. In der Erzählung von einer nächtlichen Begegnung mit Nikodemus begegnen Worte, die zu den bekanntesten Worten der Bibel gehören: Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingegeben und in die Welt gesendet hat, damit die Welt durch ihn gerettet wird (Joh 3,16-17). Dies sind die ersten Worte einer Deutung der Gestalt und Botschaft Jesu, die als eine ,Theologie der Liebe Gottes‘ bezeichnet werden kann. Jesus selbst wird zu einem Vorbild dessen, was die Gemeinschaft seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger in dieser Welt werden soll (Joh 13,34-35).
Eine zentrale Hoffnung dieser Theologie der Liebe Gottes wird von dem Verfasser des Johannesevangeliums in einem bemerkenswerten Zusammenhang formuliert, nämlich in jenem Gebet am Ende der Abschiedsreden Jesu, welches auch als das ,Hohepriesterliche Gebet Jesu‘ bezeichnet wird, also das siebzehnte Kapitel des Johannesevangeliums. Unmittelbar vor seiner Inhaftierung, seinem Prozeß und seiner Hinrichtung richtet Jesus sich unmittelbar an Gott.
Die letzten Worte dieses Gebets haben wir heute bereits in der Lesung des Evangeliums gehört. Diese Wort bringen endgültig zur Geltung, worin die Sendung Jesu ihre Vollendung finden soll: Die ewige Liebe, die bereits vor der Erschaffung der Welt zwischen Gott und Jesus existierte, soll in der Welt eine Wohnung finden (Joh 17,24.26). Diese Wohnstätte soll die Gemeinschaft der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu sein. Und so wie Gott Jesus in die Welt gesendet hat (Joh 3,17), so sendet Jesus seine Nachfolgerinnen und Nachfolger in die Welt (Joh 17,18; 20,21). Diese Welt hat Jesus jedoch voller Haß abgelehnt – und sie lehnt auch die Gemeinschaft der Glaubenden ab (Joh 15,18-25). Und dennoch soll die Welt zu Erkenntnis und Glauben gelangen, und zwar durch die Liebe und Einheit der Nachfolgerinnen und Nachfolger, die Jesus vorgelebt hat (Joh 13,35; 17,20-23). Dies ist der Sinn der Sendung Jesu, welchen das Johannesevangelium vermittelt. Oder um es wiederum mit den Worten des Prologs des Evangeliums zu sagen: Das Licht scheint – in bleibender Präsenz – in der Finsternis (Joh 1,4-5) – es entfaltet sich seit der Zeit des ersten Advents.
Und nun könnten Sie sich eine Frage stellen: Was haben diese Aussagen über den Sinn der Sendung Jesu im Johannesevangelium mit jener Hoffnung zu tun, die unser Predigttext in Worte fasst? Dies kann ich mit jenen Fragen von Immanuel Kant erläutern, die ich eingangs zitiert habe. Wenn man auf jene eschatologischen Hoffnungen schaut, die unserer Predigttext vermittelt, so kommen wir schnell an die Grenze dessen, was wir uns vorstellen können, was wir wissen können. Aus diesem Grund sollten wir neben der Frage, was wir über jene Hoffnungen wissen können, nie aus dem Blick verlieren, was wir tun sollen. Jene Theologie der Liebe Gottes im Johannesevangelium gibt uns hierzu eine klare Antwort.
Wir sollen unseren Beitrag dazu leisten, dass jene ewige Liebe, die bereits vor der Erschaffung der Welt zwischen Gott und Jesus existierte, in der vorfindlichen Welt wachsen kann.
Entsprechend sollte christliche Nächstenliebe nicht nur ein Gegenstand religionsphilosophischer Reflexionen bleiben. Sie sollte vielmehr konkret gelebt und praktiziert werden. Dazu bietet jeder einzelne Tag neue Gelegenheiten, sei es in der eigenen Familie, sei es im Freundeskreis, sei es am Arbeitsplatz – oder sei es gegenüber allen Menschen, die uns im Trubel des Alltäglichen begegnen – und zwar gerade die Menschen, die es uns besonders schwierig machen, an gelebte Nächstenliebe zu denken.
Und je mehr wir darum Sorge tragen, unseren Beitrag zu diesem Wachstum der Liebe zu leisten, desto gelassener können wir auch mit den Grenzen unseres Wissen umgehen.
Wir können uns der Hoffnung anvertrauen, dass es eine eschatologische Vollendung geben wird, in der die Vergänglichkeit und der Tod nicht mehr sein werden, die unser Leben im hier und jetzt prägen.
Wir werden die Gegenwart dessen erleben, der sich in unserem Predigttext persönlich als das Alpha und das Omega vorstellt, als der Anfang und das Ende.
Und um es abschließend mit einem Bezug zu dem Titel dieser Predigt zu sagen: Der Schöpfer dieses Universums, dessen Größe und Komplexität wir kaum begreifen können, wird selbst dafür Sorge tragen, dass sie bzw. er die Tränen von unserem Angesicht abwischen wird.
So soll es sein – so wird es sein. Amen.