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Neuer Leib (1Kor 15,35-57)


Predigt von Regionalbischöfin Dr. Friederike Spengler im Universitätsgottesdienst am 3. November 2024 in der Laurentiuskirche

Ich stehe am Grab und beerdige Johann Adam. Seine Familie steht dabei, seine Kinder, eine Schwester und die Enkel. Der Sarg wird heruntergelassen, Stück um Stück werden die Familie und der Verstorbene voneinander getrennt. Ich greife in die Schale mit Erde, nehme die Erde in die Hand, um sie zu spüren und spreche Worte, die Paulus vor 2000 Jahren an die Gemeinde in Korinth schrieb. „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Erde zu Erde. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Wir befehlen Johann Adam in Gottes Hände.“

Am Tag nach der Beerdigung treffe ich die älteste Enkelin auf der Straße. Wir unterhalten uns kurz. Ich frage, wie sie den Tag verkraftet hat. Was ihr nachgeht. Sie sieht mich an: „Na das mit Erde und der Asche… und dann?“

Liebe Gemeinde,

35 Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen und mit was für einem Leib werden sie kommen?, schreibt Paulus.

Vor wenigen Jahren gab es eine Anfrage vom Thüringer Landtag an die Kirchen, wie unsere Haltung zu neuen Trends in der Bestattungskultur wäre. Ganz konkret bei der Entnahme eines Teils von Asche aus der Urne, um daraus Diamanten zu pressen, die Angehörigen als Erinnerungsstücke in Schmuckform bei sich tragen möchten. „Naja“, fragte eine Journalistin am Telefon, „soweit ich weiß, glauben Sie ja an die Auferstehung. Wie ist denn das gedacht, wenn nicht alle Asche an einem Ort beisammen ist?“

35 Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen und mit was für einem Leib werden sie kommen?, schreibt Paulus.

In den kommenden Wochen werden wir uns in Gottesdiensten, Gedenkveranstaltungen und Andachten an die Opfer von Kriegen und deren Auswirkungen erinnern. Wie viele von ihnen haben nie ein Grab gefunden, wie viele sind in alle Winde zerstreut? Was wurde aus ihnen, aus unseren Toten?

35 Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen und mit was für einem Leib werden sie kommen?, schreibt Paulus.

„Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“ So bekennen wir es vor Gott und der Gemeinde. Und dann stehen wir selbst an Gräbern, trauern um geliebte Mitmenschen, vermissen Eltern, Kinder, Freunde. Und ganz schnell kommt das eben noch vollmundig Bekannte auf den Prüfstand, weil mich mein Herz etwas ganz anderes fragt; nämlich: Was darf ich für meine Toten hoffen, was darf ich für mich selbst glauben?

Mit seinen Ausführungen geht Paulus genau in diese Spannungen hinein. Und bereits bei den ersten beiden Versen wird deutlich, dass das hier keine Trostschrift, sondern ein Lehrschreiben ist. „Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen und mit was für einem Leib werden sie kommen?  Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt!“

Du Narr!“, paulinische Form von „Falsche Frage!“ Paulus ist Lehrer, ein guter Lehrer. Deshalb lässt er uns Schülerinnen und Schüler hier nicht beschämt abtreten („Ungenügend, setzen, kommen sie in 4 Wochen zur Wiederholungsprüfung“), sondern leitet dazu an, in unserem Fragen voranzukommen.

Wie macht er das? Er lockt uns weg von dem, was wie eine Humusschicht schwer auf dem lastet, was des Fragens wirklich wert ist. Paulus: „Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern ein bloßes Korn, sei es von Weizen oder etwas anderem.(…) Nicht alles Fleisch ist das gleiche Fleisch (…)  es gibt himmlische Körper und irdische Körper. (…) So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib“

Paulus lockt uns hin zu Fragen, die Relevanz für unser Leben haben, zu den existentiellen Fragen also. Und damit sind wir schnell beim Eingemachten: Was also, liebe Gemeinde, bekennen wir öffentlich und was fragen wir unseren Glauben im Stillen? Karl Barth schreibt an dieser Stelle: „Hier wird kein Beweis erbracht, aber Raum geschaffen im Denken.“ Also, Luft ranlassen. Einen Schritt zurücktreten, um nicht im Tunnelblick zu versinken, sondern das Ganze zu sehen. Jedenfalls einen Teil davon.

Paulus nutzt für seine Argumentation den Vergleich zum Samenkorn. Wird es in die Erde gelegt, stirbt es, so war es allgemeines Verständnis in der Antike. Das Korn ist tot. Und deshalb ist auch das, was aus der Erde später hervorwächst, etwas völlig Neues.

Paulus kennt sich mit den Gebeten im jüdischen Gottesdienst aus. In einem wird Gott, Beginner, Anfänger, Schöpfer des Himmels und der Erde, als der gelobt, der die Toten durch den Tod zum Leben führt. Da heißt es „Du, Herr, bist voll Macht und Ewigkeit! Der die Toten belebt, bist du – reich an Rettung. Der für die Lebendigen wohltätig sorgt, der … die Fallenden stützt, die Kranken heilt…“

Der alleinige Gott schafft Leben: aus dem Tod am Anfang der Welt, Leben aus dem Tod am Anfang der neuen Welt. Auferstehungsglaube ist Schöpfungsglaube. Der Schöpfer beginnt mit uns noch einmal ganz von vorn. Gott spricht dem Tod das Leben ins Gesicht. Er überlässt dem Tod nicht das Feld. Vielmehr hält Gott an seiner Beziehung zu uns fest und diese endet natürlich nicht an der Todesgrenze! Warum auch? Diese Grenze ist für alles Geschaffene eine Grenze, sagt Paulus, aber doch nicht für Gott! Wo denkt ihr hin!

Und doch, so klagen wir in Gott ins Ohr, ist doch der Tod weiter wirksam!

„Aber überwunden!“, sagt Paulus. Das ist der entscheidende Unterschied.

Der Tod ist ein Skandal! Jeder Tod ist ein Skandal! Und deshalb soll uns dieser Skandal aufrütteln zum Leben! Es ist eben nur die halbe Wahrheit: „Alle Menschen müssen sterben“, und „Bedenke Mensch, dass du sterblich bist.“ Das im Leben nur eines sicher ist, nämlich der Tod. Alles unerhört wichtig. Und diese halbe Wahrheit tut gern so, als wäre sie die ganze!

Lassen wir uns also nicht dazu verführen, uns einzurichten mit dem Tod, oder womöglich in ihm. So viel Ehre steht ihm nicht zu! Soweit kommts noch, sagt Paulus. Und deshalb fragt er „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ Unser Nachdenken über die Endlichkeit, soll zur Demut führen. Und zur Lebensklugheit. Sie speist sich aber aus dem Glauben an die Auferstehung: die ist die ganze Wahrheit! Weil wir dem Auferstandenen seine Auferstehung glauben, können wir das Leben getrost loslassen, wenn es soweit ist. Der Skandal des Todes soll uns aber schon heute und morgen zum Leben reizen! Ja, „Christen sind Protestleute gegen den Tod!“ (Christoph Blumhardt).

Paulus entwirft nun in lichten, starken Farben, wie sie nur der Himmel selbst zu bieten hat, die Verwandlung des Menschen an den Horizont:

„Unverweslich – herrlich – stark – himmlisch“.

„Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und das plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden.“

Plötzlich. En atomò. In Momento. Ein unteilbarer Augenblick. Ein solches „Jetzt“, dass dir Hören und Sehen aufgeht. Zeitenwende schlechthin: Nichts von dem, was du bist, überdauert einfach. Wir werden verwandelt! Radikal. Wir werden andere. Du wirst ein anderer, eine andere. Welchen Unterschied würde es denn machen, wüssten wir, welche Gestalt unser Körper nach dem Tod hätte. Vielmehr sollen wir wissen, was das für unser Leben bedeutet. Es bedeutet, von Gott erkannt zu werden als die, die du bist. Vielmehr noch, du wirst die, die du sein sollst. Gottes Beziehung zu dir wird dich durch eine einzigartige, grundlegende Veränderung führen, wird aus allen andere machen. Wir werden verändert, aber geraten dabei Gott für keinen Moment aus dem Blick.

Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erster unter denen, die entschlafen sind“. Kein Leben ohne Tod. Aber, seit Ostern: Kein Tod ohne Leben! Das Grab Jesu ist leer. Denn der Herr ist auferstanden! Wahrhaftig auferstanden. Damit ist der Tod verschlungen. Schon heute! Und auch, wenn er uns immer wieder in den Weg tritt, uns die Sicht versperrt, uns stolpern lässt über Grabsteine und andere Trostlosigkeiten im Leben. Verschlungen.

Ja, der Stachel des Todes… Solange wir sind, werden wir es mit diesem Stachel des Todes zu tun haben. Um ihn zu sehen, brauchen wir nicht weit zu blicken: auf unser eigenes Leben, auf das Leben um uns her. Viel schneller, als mir lieb ist, sehe ich an diesem Stachel des Todes den Tod selbst: Angst, Krankheit, Zerstörung, Gewalt, Schmerz, Leid - ob in der Wohnung nebenan oder in Flüchtlingslagern und den Kriegsgebieten. Ich sehe ihn auf den Bildern von Hungernden nach Brot und nach Gerechtigkeit. Den Stachel des Todes setzt Mensch gegen Mensch selbst ein. Grausam verletzend, verstümmelt, geschändet, missachtet und alleingelassen lässt ein Bruder den anderen, eine Schwester die andere hinter sich zurück. Und das wird wohl so weitergehen, bis wir alle Verwandelte sind, sagt Paulus!

„Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!“ “den Sieg gibt“, schönstes, reinstes Präsens! Keine Vertröstung, nicht mit Paulus. Die Auferstehung umschließt die Gegenwart. Sie bringt uns auf die Füße. „Avanti!“, los jetzt, erkenne deine Aufgabe und tu sie! Lebe deine Auferstehung für dich und andere, für andere und dich. Setze dich ein für Gerechtigkeit. Stehe auf gegen Unrecht. Teile Brot und Mantel. Nimm den anderen ins Gebet. Kümmere dich um den, der dir vor die Füße gelegt wird. Gehe sorgsam mit der Schöpfung um. Und weil es auch an dir liegt, halte Frieden mit jedem und jeder.

Und, Ihr Lieben, sagt es unbedingt weiter, dass die Auferstehung heute beginnt. Und antworte, wenn du gefragt wirst: „Was darf ich für meine Toten hoffen, was darf ich für mich selbst glauben?“ in Gottes Namen: „Alles!“

Amen

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