Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Leeres Grab (Mk 16,1-8)


Predigt von Johanna Schade im Universitätsgottesdienst am 6. Januar 2025 in der Laurentiuskirche

Liebe Universitätsgemeinde,

Gnade sei mit euch und Friede von unserem Herrn Jesus Christus.

…und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

So endete ursprünglich das älteste biblische Evangelium. Der Tod und das Verschwinden Jesu mit dem diffusen Versprechen eines Fremden und Erschrecken und Schweigen als Reaktion der Jüngerinnen als Ende der markinischen „Frohen Botschaft“?

Erschrecken und Schweigen – das Ende aller Dinge?

Was kommt dann?

Dieses Ende wurde offensichtlich schon früher deutlich als unbefriedigend empfunden, denn sekundäre Schlüsse haben es auch in unsere heutige Version des Markusevangeliums geschafft. Erscheinungen Jesu werden dort beschrieben, als Versprechen, dass die Sache Jesu eben NICHT vorbei ist mit dem verschwundenen Körper Jesu, mit dem Erschrecken und dem Schweigen oder mit der schrecklichen Gewalt und Vernichtung, die am Ende von Jesu Leben stehen. Doch statt des fröhlichen Wiedersehens mit dem Auferstandenen, verweist das Markusevangelium die Lesenden in seiner ursprünglichen Form an den Anfang des Auftretens Jesu. Bevor wir dort näher hinschauen, lassen Sie uns aber noch einen Blick auf den Anfang unseres Predigttextes werfen. Wer wird hier eigentlich auf den Anfang verwiesen? Maria, Maria und Salome sind ja nicht zufällig am Grab. Dass das Szenario mit den Frauen am Grab historisch nicht unwahrscheinlich ist, machen einige Exeget:innen daran fest, dass es eben so überliefert ist, obwohl Frauen in allen Evangelien ansonsten eine deutlich untergeordnete Stellung im Vergleich zu männlichen Jesusanhängern zugeschrieben wird. Maria, Maria und Salome also sind innig mit Jesus verbunden. Sie sind auch nicht – wie die Zwölf – während der Kreuzigung abwesend, sondern schauen aus der Ferne zu. Sie halten es aus, die Ohnmacht und den Schwerz zu ertragen, den es bedeuten muss, den Foltertod eines geliebten Menschen mit ansehen zu müssen. Die Besatzungsmacht des römischen Reiches greift auf den wehrlosen Körper zu und bestimmt über sein Daseinsrecht. Jemand, der so ist, wie dieser Jesus, bestimmen die Herren der Welt, hat kein Recht zu leben und darf zur Abschreckung anderer grausam vernichtet werden.

Gerade Jesu „So-Sein“ aber ist es, was die Welt, für die beiden Marias und Salome verzaubert hat, über die andere herrschen wollen. Jesu Verkündigung und Leben hat ihnen Hoffnung gegeben auf die βασιλεία τοῦ Θεοῦ, das Königreich Gottes, das sie in seiner Gegenwart bereits erfahren konnten.

Die Kreuzigung ist ein Versuch, diese anbrechende Gottesherrschaft zu verhindern. Sie ist der Versuch zu vernichten, was hegemoniale Gewalt destabilisiert. Nämlich die liebevolle Zuwendung Jesu zu den Menschen, die von der Gesellschaft als unwert betrachtet werden und natürlich nicht zuletzt die Vertreibung der Händler aus dem Jerusalemer Tempel und damit eine Kritik an der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.

Dass die drei Vertrauten Jesu trotz der staatlichen Machtdemonstration zum Grab gehen, um Jesus zu salben, kann als Akt der Rebellion verstanden werden. Eine Rebellion gegen die Diskreditierung dieses Jesus von Nazareth. Die Liebe der beiden Marias und der Salome hat sich nicht durch die Kreuzigung auslöschen lassen. Diese drei beharren auf ihre Nähe zum Hingerichteten und suchen ihn, um ihm einen würdevolleren Abschied zu bereiten, als die Autoritäten vorgesehen hatten. Statt des Gekreuzigten finden sie aber das leere Grab und in ihm einen Jüngling, der ihnen die Auferstehung verkündigt und ihnen aufträgt, diese Botschaft weiterzugeben. Um die ersehnte Nähe zu Jesus wiederzufinden, trägt er ihnen auf, zurück zu gehen nach Galiläa. Galiläa, der Ort, an dem im Markusevangelium alles anfängt. Der Ort, an dem Jesus beginnt, das Königreich Gottes zu verkünden und zu leben, das ein ganz anderes ist, als die Reiche der Welt.

Jesus ist also nicht einmal mehr als toter Körper erreichbar, dem die drei Frauen eine angemessene Bestattung bereiten könnten. Stattdessen ist da dieser Verweis auf den Anfang. Und hier, liebe Gemeinde, stehen wir mit den beiden Marias und Salome. Auch uns ist die Botschaft vom leeren Grab und von der Auferweckung Jesu verkündet, wie ihnen. Und mit der begründeten Hoffnung, dass das alles wahr sein könnte, mit der Zusage, dass es mit dem Tod nicht vorbei ist, dass diese Welt keinen Anspruch auf Absolutheit hat, sind wir alleine gelassen in der Hoffnung, dennoch Nähe mit dem Auferstandenen erfahren zu können. Wir sind allerdings nicht allein gelassen mit der Frage, wie das möglich wird, denn da ist der Verweis auf Galiläa, auf den Anfang. Vom einstweiligen, oder scheinbaren Ende her, gilt es, immer wieder auf den Anfang zu schauen, auf das Leben und die Verkündigung Jesu, die wieder am leeren Grab enden und wieder auf den Anfang verweisen. Von hier aus wird deutlich: Die Verkündigung Jesu erhält ihre bleibende Wirkung erst durch die Auferstehung, die Auferstehung aber wäre inhaltlich leer ohne die Verkündigung des Reiches Gottes. Erst die Verkündigung des Reiches Gottes, auf dessen Kommen die Auferstehung hoffen lässt, macht dieses in seinem Inhalt für uns Menschen erahnbar.

Wir sind also auf den Anfang verwiesen, aber auf einen Anfang unter neuen Vorzeichen: der Anfang ist neu qualifiziert. Durch die Auferstehung wird die sich als absolut gerierende Welt zur Diesseitigkeit. Durch den Osterglauben in der Jenseitigkeit geborgen, sind wir nun darauf verwiesen, in der Diesseitigkeit zu sein und ihr mit Jesus gemeinsam zu begegnen. Sowohl in der Erzählung des Markusevangeliums, als auch im Alltag.

Um einen Anfang geht es auch an Epiphanias.

Für die Storyline ignorieren wir heute dem Umstand, dass bei Markus die Geburt Jesu eben nicht beschrieben ist und der Anfang von allem in Galiläa gesehen werden kann und gehen mit dem österlichen Blick, mit dem Wissen um die Auferstehung zu dem Anfang, von dem wir heute schon in der Lesung gehört haben: Drei μάγοι, man kann übersetzen: Zauberer, oder Wissenschaftler:innen suchen nach dem König der Welt und finden einen schäbigen kleinen Ort, mit einem Haus, das bei Lukas (ja, wir springen heute ein wenig durch die Evangelien) als Stall bezeichnet wird und in ihm ein kleines Kind in einer Krippe. Eine ärmliche Familie, fern der Heimat und in Umständen, die nur von Menschen, die selbst nicht in dieser Situation sind, als ausreichend beschrieben werden können. Hier also finden sie den Messias, den Stern aus Jakobs Haus. Mit diesem Anfang wird deutlich, was unter dem Königreich Gottes zu verstehen ist: Es geht um die Hinwendung zu einem kleinen, wehrlosen Wesen, das darauf angewiesen ist, dass man ihm mit Liebe begegnet und ihm den Weg in die Welt ermöglicht, wie Johannes der Täufer es am Anfang des Markusevangeliums anmahnt: „Bereitet den Weg des Herrn! Macht gerade seine Straßen!“ Hinzuzufügen wäre hier: Denn er kann es nicht selbst. Ein König, der sich nicht selbst helfen kann, bis zum Kreuz. Das widerspricht jeglichen Herrschaftsansprüchen, die damals und auch heute noch Gültigkeit haben.

Und an Epiphanias erkennen diese hochgestellten Weisen oder Wissenschaftler:innen das und widmen diesem Anti-Herrscher ihre königlichen Gaben.

Das klingt jetzt zugegeben vielleicht alles ein wenig märchenhaft. Was bitte soll das bedeuten? Christentum als Rückzug in häusliche Beschaulichkeit? Einfach mal bisschen nett zu den Schwachen sein?

Ich springe wieder zurück ins Markusevangelium und zu dem Hinweis des Jünglings im leeren Grab: Seine Gaben Jesus Christus zu widmen muss meiner Meinung nach heißen, mich schon jetzt, im Hier und Heute als Bürger:in des Königreiches Gottes zu verstehen. Das Königreich Gottes in der Diesseitigkeit ist aber eines mit einem Herrscher, der uns oder dieser Welt entzogen ist. Der Auferstandene läuft nicht herum und sagt, was man zu tun oder zu lassen hat. Sein Reich ist nicht von dieser Welt. In der Konsequenz bleiben uns, die wir uns als Christ:innen verstehen, nur die Berichte über das Handeln Jesu, wie sie uns überliefert sind. Diese müssen wir immer wieder neu, immer wieder vom Anfang an nachvollziehen und uns im Glauben an den Auferstandenen immer wieder neu an seiner Darstellung des Reiches Gottes ausrichten – eben auch im Zweifel im Widerspruch zu den Urteilen, die von weltlichen Herrschern ausgesprochen werden.

Ich könnte jetzt vage bleiben, was das für mich bedeutet, aber ich tue es nicht. Immer wieder neu das Evangelium zu lesen, bedeutet eben auch, immer wieder konkrete Konsequenzen daraus zu ziehen, diese zu formulieren und darüber mit der Gemeinde und der Welt im Austausch zu sein. Eine Praxis, die sich ja auch in den Paulusbriefen niederschlägt. Ich denke, dass es gerade darüber in einer Kirche, die versucht, gesellschaftlichen Anklang zu finden, viel zu wenig Austausch über klare Positionen gibt. Und ich denke, dass verantwortete Nachfolge auf Gemeinschaft und Austausch angewiesen ist. Nehme ich alles bisher gesagte ernst, dann bedeutet Bürger:in des Reiches Gottes zu sein für mich, mit einem klaren „Nein“ zu reagieren auf das Wiedererstarken menschenverachtenden Gedankenguts in der Gesellschaft, das auf Angst und Hass setzt. Dieses Nein darf nicht leise sein, sondern muss laut und theologisch fundiert ausgesprochen werden. Es bedeutet für mich, dass man sich einsetzt für einen wertschätzenden Umgang in der Gesellschaft, Politik und Universität, um die verhärteten Fronten, die sich gesellschaftlich bilden, zu verunsichern und neue Sprachfähigkeit zu finden. Dahinter steht das Wissen, dass unser Gott auch klein und schwach ist und unserer Liebe bedarf, wie wir selbst und andere Menschen klein und schwach sind. Getragen können wir darin sein von dem Versprechen Gottes für die Jenseitigkeit. Gott ist auf der Seite derer, die schwach sind und Schutz bedürfen und die dem staatlichen Zugriff ausgeliefert sind und eben nicht mit den Mächtigen, die noch heute Absolutheit für sich beanspruchen. In dieser Gewissheit kann ich mich den Angst- und Hassrhetoriken entgegenstellen, die mir im Alltag, in den Nachrichten, an der Supermarktkasse, oder in der Familie begegnen. Wenn jemand die Bedürftigen unserer Gesellschaft zu gierigen Schmarotzern umdeuten will und auf Elend mit Härte und Entsolidarisierung reagiert, denke ich an das Kind in der Krippe. Das Versprechen, dass Christus den Tod überwunden hat, gibt mir, entgegen aller Umstände, Hoffnung und Mut, vor den Herausforderungen der Klimakrise, der weltweit eskalierenden Konflikte und der erstarkenden rechten Positionen nicht zu verzweifeln. Bereitet man so den Weg für den Herrn und macht gerade seine Straßen? Ich hoffe es.

Und in diesem Versuch, schon jetzt im Reich Gottes Bürger:in zu sein, den jeder und jede immer wieder neu unternimmt, leuchtet vielleicht etwas von dem Frieden Gottes in unserer Welt auf. Immer wieder neu ein Epiphanias.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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