Klugwerden (Ps 90,1-12)
Predigt von Prof. Dr. Jörg Dierken im Semesterschlussgottesdienst des Wintersemesters 2024/25 am 29. Januar 2025 in der Moritzkirche
Friede sei mit euch und Gnade von dem, der da ist und der da war und der da kommt. – Amen.
Liebe Gemeinde!
Ist es wirklich so gemeint: dass es am Ende des Semesters in unserer Reihe ‚Das Ende aller Dinge‘ gleich um die Endlichkeit des menschlichen Lebens überhaupt geht? Ist die letzte Pointe des Klugwerdens, mit dem wir es in der Universität doch zu tun haben sollen, dass wir durch Gott belehrt werden, sterben zu müssen? Soll alles, was wir machen, am Ende doch nur vergebliche Mühe sein, weil es schnell dahinfährt?
Gewiss, das Semesterende ist immer auch die Zeit des Aufräumens und Ablegens, man versucht, den Schreibtisch leer zu bekommen von den Semesterdingen und wohl mehr noch den Kopf frei. Man schaut auch zurück, sortiert, was fertig und gelungen ist und was noch weiterer Arbeit bedarf. Manches wird man einfach hinter sich lassen wollen, man ist froh, dass es zu Ende ist. Noch mal von vorn anfangen mit dem Seminar, dem Sprachkurs oder der Hausarbeit? Vielleicht doch nicht unbedingt, besser die Dinge sind nun weg. Das ist befreiend. Das Ende dieser Dinge ist der Anfang von Neuem. Jetzt heißt es Durchatmen, Erholung, eventuell Urlaub – und dann geht es weiter. Vielleicht sind noch nicht alle Baustellen aufgeräumt, ein frischer Anlauf tut gut. Und auch die neuen Dinge werden Mühe kosten und irgendwann ihr Ende finden. Doch davor steht erst einmal der Reiz des Neuen, der Zauber des Anfangs – hoffentlich.
Davon gibt es erst einmal nichts in unserem Psalm, der liturgisch zum Ewigkeitssonntag gehört. Kein Anfang, nur das Ende, und zwar das ganz große, das alle kleinen Enden überragt. Es geht um Gottes Ewigkeit – und die bringt die Botschaft vom Ende. Davon, dass Gott die Menschen sterben und dahinfahren lässt wie Gras, das gleich nach dem Sprossen und der Blüte am Morgen des Abends welkt und verdorrt. Die Bilder sind so stark wie düster: Dahin müssen, befristet leben, 70 oder im Höchstfall 80 Jahre mit unentrinnbarer Hinfälligkeit – und „was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe, denn es fähret schnell dahin als flögen wir davon“. Das sind Bilder für einen auf das Ende zulaufenden Gang aller Dinge, der noch die heiteren Momente verschlingt und alles Schöne nichtig werden lässt.
Neben diesen Bildern vom gleichsam natürlichen Lauf des Lebens hin zum Ende stehen die Aussagen vom Vergehen infolge menschlicher Sünde und göttlichem Zorn. „Das macht dein Zorn“, so der Beter, „dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich davon müssen“. Neben die Beschreibung des natürlichen Vergehens tritt das sündentheologische Motiv, wonach „unsere Missetaten“ und „unsere unerkannte Sünde“ von Gott ins Licht gestellt werden und darum „alle unsere Tage dahin“ fahren und wir „unsere Jahre“ zubringen „wie ein Geschwätz“. Das düstere Resultat des Lebens ist vom Schöpfer verfügt – und wir sind dennoch selbst dafür verantwortlich, dass sein Zorn und Grimm uns verfallen und zunichte werden lassen, auch wenn nicht gesagt wird, worin die Sünde besteht. Der Schöpfer wird zum Richter.
Und ebendiesen spricht der Beter des Psalms mit dem vertrauten Du an. Doch nur wenige Wendungen zeigen Nähe. Etwa die, dass das Du, das die Menschen sterben lässt, sie auch wiederkommen heißt. Oder die, dass Du „unsere Zuflucht“ bist „für und für“ – eher als die Berge und die ganze geschaffene Welt, und das in alle Ewigkeit. Horizont göttlicher Nähe ist Erhabenheit. Sie ist teils im Bild von unermesslicher Zeitdauer ausgedrückt – „tausend Jahre wie ein Tag vor dir“ –, teils in dem einer Verdoppelung des aller Zeit Enthobenen – „von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Von der gefüllten Zeit der Geschichte, durch die Gott mit seinem Volk auf dem Weg von der Knechtschaft hin zum Heil geht, ist nirgends die Rede. Wenn zu Gott im Maß der Zeit gesprochen wird, verwirren sich alle Zeitmaße. Anschauungsformen und Kategorien für das Verständnis des Ewigen nach dem Ende werden widersprüchlich. Und doch haben wir mit dem Du Gottes ein Verhältnis zu dem, der aller Zeit enthoben ist, der als das Andere der Zeit es ermöglicht, dass für uns die Zeit ihre Zeit vor dem Ende hat.
Gegenüber dem Sterbenmüssen sollen wir über den Umweg zu Gott lebensklug werden. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“: Dieser Spruch am Schluss unseres Psalmabschnitts, der oftmals Beerdigungsabkündigungen rahmt, klingt plausibel – und entzieht sich zugleich dem Verständnis. Was ist gemeint?
Zunächst einmal, dass Lehren und Klugwerden Gott und Mensch verbinden. Das sollte uns in der Universität freuen, denn das gehört zentral zu deren Geschäft – wenn auch in der Regel ohne Gottesbezug. Lehren, das ist im Optimalfall ein Geschehen, dass die Lernenden befähigt, ihre eigenen Einsichten, Gedanken und Ideen zu entwickeln. Das schließt die Entwicklung von Selbstvertrauen und Zuversicht ein. Und das geht mit dem Gewinn von Anerkennung für ein gewonnenes Profil und für eigene Kompetenzen einher. Damit ist Wissen, das mit anderen in der gemeinsamen Welt geteilt werden kann, verbunden. Sich mit anderen über komplexe Dinge verständigen können: Dieses Ziel universitärer Lehre ist ein Gegenmittel gegen ein Selbstdarsteller- und Spaltungsunternehmertum, das die Lufthoheit im öffentlichen Raum durch Behauptungen oder Lügen gewinnen will – und mit Ressentiment, Wut oder Aggression reagiert, wenn das nicht klappt. Klug werden in der Universität bringt vielleicht noch keine umfassende Klugheit, aber es kann doch schon ein tugendhafter Vorgriff darauf sein. Und das gilt wechselseitig für Lehrende und Lernende. Man könnte auch von Persönlichkeits- oder Charakterbildung sprechen.
Freilich, was nach unserem Psalm als Lebensklugheit gelehrt werden soll, ist als Wissensbestand so banal wie existentiell herausfordernd. Dass wir sterben müssen, dass alles Lebendige ein Ende hat, dass das Altern mit der Geburt beginnt, ist eine biologische Evidenz, auf der alle Lebens- und dann auch Sozial- und Kulturwissenschaften aufbauen. Im philosophischen Seminar kann hierauf die existenzanalytische These gegründet werden, dass wir unser je eigenes, individuelles Selbstsein im Vorlaufen auf die Grenze des Todes erfassen und angesichts seiner Nichtigkeit heroisch übernehmen können – wenn wir ihm nicht durch Hingabe an das Zeug der Welt auszuweichen suchen. Ob solch existenzphilosophische Gelehrsamkeit lebensklug macht, mag dahingestellt bleiben.
Was es heißt, klug zu werden im Bedenken des Sterbenmüssens, wird im Psalm nicht gesagt. Es lassen sich denn auch ganz verschiedene Varianten denken. „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ – dieses Motiv findet sich schon in der Bibel. Party machen ohne Ende bis das Ende kommt, so könnte man die hedonistische Variante des Klugwerdens beschreiben. Alle Lust will Ewigkeit, sagt Zarathustra, sie fühlt sich zumindest im Moment so an. Und was dann kommt, ist egal, man ist dann nicht mehr da. In den Kirchen wird wohl eher gegenteilig gedacht. Klugheit durch die Lehre vom Sterbenmüssen kann einen etwas depressiven Einschlag verstärken und lust- und euphoriedämpfend wirken. Das kann auch einen altruistischen Akzent bekommen und mögliche Versäumnisse anderen gegenüber wachrufen. Also: Nicht über die Stränge schlagen und rechtzeitig an Gott denken oder in seinen Augen in der Welt ordentlich leben bevor es zu spät ist. Auch das ist eine Logik des Klugwerdens, freilich eine solche, die mit dem Rechtfertigungsglauben auf Kollisionskurs gerät. Das gilt auch für ein Verständnis des Lebens, das dessen kurze, kostbare Zeit auszukaufen trachtet. Keine Zeit vertrödeln oder verdaddeln, sondern sie möglichst gewinnbringend einsetzen, so die Logik des Berufsmenschentums, ob protestantisch oder nicht. Doch wofür mag man fragen, wenn doch alles dahinfährt und das letzte Hemd keine Taschen hat? Oder auf die Lebenswelt Universität bezogen: Auch der Ruhm von Wissenschaft und Forschung vergeht, die nächsten Ergebnisse überholen die letzten und der Platz im Bücherkanon, der auch weiterhin gelesen wird, ist sehr begrenzt. Dann besser etwas heruntergedimmt: ein carpe diem, Leben im Hier und Jetzt, mit Nutzen und Genuss, jedenfalls in Maßen. Das ist vielleicht nicht schlecht, aber das Aufgehen im Augenblick verschließt die Möglichkeit, das zu verstehen, was der Psalmist als den in uns liegenden Grund unserer Endlichkeit beschreibt: Missetaten, Sünde, Geschwätz.
Der Psalmist stellt zwei Deutungen des Dahinfahrens nebeneinander. Neben dem natürlichen Gang des Lebens auf das Ende hin, der von Gott gesetzt und bekräftigt wird, wird das Enden-Müssen als Folge eigener Sünde gedeutet, realisiert über die Bande des göttlichen Zorns. Dass der Tod nicht das Ende des geschöpflichen Lebens, sondern die Strafe für die Sünde sei, ist uns aus der biblischen Überlieferung vertraut. Danach ist der Tod „der Sünde Sold“. Aber das wirkt mindestens sperrig. Und zwar nicht wegen des damit verbundenen Theodizee-Problems – mit dem der Psalmist kein Problem hat –, sondern weil es im Umkehrschluss besagt, dass das Leben ohne Sünde endlos wäre. Wäre das wünschenswert? Am Ende nur noch alte greise Menschen, die mehr noch als in unserer alternden Gesellschaft alles junge, neue Leben erdrücken würden? Dem steht beim Psalmisten die schöpfungstheologische Beschreibung der menschlichen Endlichkeit entgegen, die auch ein Morgen kennt.
Trotz ihrer Sperrigkeit ist uns die sündentheologische Deutung des Endes sehr vertraut. Etwa im Bereich von schwerer Krankheit, bei der die omnipräsenten Mahnungen zum gesunden Leben zu der düsteren Einsicht werden, selbst schuld zu sein. Man betrachtet seinen Zustand von hinten im Lichte der Einsichten, dass Krebs die Folge von Rauchen und falscher Ernährung ist, Infarkte von mangelnder Bewegung kommen usw. Diese Einsichten sind als Mahnung zum gesunden Leben von vorn nicht falsch und haben ihr Gutes – wenn man nicht zum Knecht der Fitnesstracker wird. Doch bei der so gedeuteten Krankheit kommt neben dem Schicksalhaften, dem Einbruch der zerstörend-fremden Lebensmacht, noch hinzu, dass man selbst schuld ist oder zumindest die Schuld bei sich suchen muss. Das Leiden an der Krankheit wird durch ein Leiden an sich selbst potenziert – die selbst verschuldete Krankheit isoliert noch mehr, als das uns alle ereilende Schicksal. Diese Logik von Leiden und Schuld wurzelt in unserem Fragen nach Gründen – und sie verstärkt das Dilemma der Krankheit. Wir werden diese Logik von Schuld und Strafe nicht einfach los. Mag sie auch in der Religion auf dem Rückzug sein, so drängt sie sich in der Säkularität mit ihrer existenziellen Krankheitsdeutung im Lichte evidenzbasierter Medizin wieder auf. Schwere Krankheiten als göttlich verordnete Sündenstrafen zu verstehen, wird im Krankenhaus-Seelsorge-Kurs heute indes Irritationen auslösen. Danach geht es eher um die Hilfe zur Abwägung nach Lebensqualitätsgesichtspunkten zwischen schweren therapeutischen Eingriffen mit Stärkung im Kampf gegen die Krankheit einerseits – und Hinnahme und Akzeptanz des Unvermeidlichen andererseits. Enden zu müssen, gehört danach zum guten, von Gott als Schöpfer gegebenen Leben dazu. Klugwerden heißt dann zu verstehen, dass das Leben nur in seinen Grenzen zu einem Ganzen werden kann – selbst, wenn es immer auch Fragment bleibt und die von uns zu Lebzeiten nie auslotbare Ganzheit eine Angelegenheit des erlösend-vollendenden Blicks Gottes ist.
Und was ist mit der Logik von Sünde, Not und Tod? Sie steckt hinter allem Klugwerden in der religiösen Lebensdeutung. Sie ist der Ankerpunkt dafür, dass etwas anders werden soll, besser, verständiger, einsichtsvoller. Sie markiert den inneren Zwiespalt, dass wir immer auch das sind, was wir nicht sein wollen. Sie lässt uns Gegenbilder entwerfen zu dem, was der Fall ist und doch nicht sein soll. Sie vertritt in den dunklen Seiten des Lebens das Kontrafaktische erhellender Moral. Und damit führt sie in der religiösen Lebensdeutung zu Gott. An dessen ‚Ich bin‘ hängt das ‚du sollst‘, wie es die 10 Gebote als Urform der von Gott kommenden und mit ihm verbindenden Moral zeigen. Das ist der Untergrund, auf dem die Vorstellungen von Missetaten und Sünde als Grund für Gottes Zorn und Grimm aufbauen. Gewiss, beides ist in der Umkehrung: Missetaten und Sünde sind das Gegenteil der Moral, und Gottes Zorn steht seine Liebe gegenüber. Unter dem Schein des Gegenteils – oder mit einer Formel aus der lutherischen Dogmatik: sub contrario – kommt dies in jener Logik zum Ausdruck, in dem der innere Zwiespalt des Leiden-Müssens im Zeichen von Verfehlungen gedeutet wird. Es geht um Selbstbeurteilung und Selbsterforschung als Form von Klugwerden, und zwar eine solche, die noch mit etwas Verborgenem im Selbstverhältnis rechnet: die unerkannte und unkenntliche Sünde, die vor Gott ins Licht gestellt wird.
Die Moral – oder besser: die moralische Ordnung des Miteinander – verbindet uns mit Gott, im Negativen wie auch im Positiven. Gemeint ist mit Moral, danach zu handeln und zu leben, was wir als richtig beurteilen, weil wir die Perspektive der Anderen einbeziehen. Sich an der Stelle des Anderen und dann tendenziell Aller zu denken, das Eigene mit dem der Anderen abzugleichen und das alles aus freien Stücken zu tun und sich dabei in den Spiegel sehen zu können: solcherart zu leben, verbindet uns miteinander und auch mit Gott. Verbundenheit – Kooperation – und Mitfühlen – Vulnerabilität – zeichnet unser Leben im Positiven aus. Und diese Grundzüge des Menschlichen bleiben in Geltung, auch wenn wir davon müssen. Dies wird uns im Blick auf diejenigen im Gedächtnis bleiben, von deren Leben wir gemeinsame innere Bilder haben, in denen sie und wir weiterleben. Doch das gilt auch für die anderen – und letztlich für Gott, in dessen Gedächtnis das Leben Aller aufgehoben wird. Kant, der Autor der Schrift „Vom Ende aller Dinge“, nach der unsere Predigtreihe benannt ist, sieht in der Moral das Gemeinsame von Zeit und Ewigkeit, von Mensch und Gott. Wir können hoffen, dass in Gottes urteilendem Blick auf uns in dessen zeitenthobene Perspektive das, was bei uns unabgeschlossen, Prozess und Bemühen ist, zum Ganzen vollendet wird. Wir können und sollen das Ende nicht herbeiführen. Aber wir können und sollen unser Leben in der Hoffnung führen, dass am Ende Einigkeit mit sich und seinem Leben stehen kann. Einwilligung ohne Hadern: wohl kaum je gänzlich erreichbar und doch erlösend. Das steht im Licht der Hoffnung, dass es Gott in seinem zeitenthobenen Urteil über unsere moralische Bestimmung im zeitlichen Leben obliegt, uns je individuell zu würdigen und zu vollenden. Die negative Seite des Versagens läuft mit – und wird zugleich von Gott verneint. Ein anderes Ende aller Dinge zu denken, verwickelt in den Widerspruch, das Ewige in den Kategorien endlicher Zeit zu beschreiben. Die Verbindung mit Gott und seinem letzten Blick auf seine Moral in uns geht im Christentum, so Kant, über die Begriffsform von Pflicht und Gesetzesachtung hinaus. Das Christentum ist für Kant liebenswürdig, weil es Liebe als Erfüllung der Moral und Freiheit als deren Anfang versteht. Die mit Kant ‚liberale Denkungsart‘ des Christentums stellt auf freie Liebe ab.
Das scheint weit weg von unserem Psalm zu sein, und auch Kant war kein Anhänger von – sagen wir: Polyamorie im höheren Chor. Freiheit und Liebe bauen vielmehr an einer Ordnung, in der nicht der gewinnt, der die anderen übervorteilt und erniedrigt. Vielmehr gilt: Nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen oder verleumden. Vermutlich gilt auch: Kein hate-speech, kein Anprangern durch shit-storms, vielmehr Probleme benennen, nach Lösungen suchen, Solidarität üben. Dazu gehört auch: den vorzeitigen Tod verhindern, etwa den durch sozialen Ausschluss, Kolonisierung der Lebenswelt, Vernichtung ökonomischer Chancen auf Teilhabe. Vielleicht auch: Verhinderung des vorzeitigen Todes, durch Hilfe bis hin zu den kreativen Potenzialen der Medizin. Davon steht nichts im Text, aber auch nichts vom Gegenteil. Im Text steht aber, dass wir klug werden sollen im Wissen, dass unser Leben endlich ist. Es geht auch darum, zu akzeptieren, in der Kette der Generationen zu stehen. Es gilt auch, das Erlösende des Davon-Müssens anzuerkennen. Ewigkeit jenseits des Augenblicks haben wollen, Unendlichkeit und Unsterblichkeit: Das ist Sein-Wollen-wie-Gott, die Urform der Sünde.
Ja, es gibt die dunkle Erhabenheit Gottes, von der unser Psalm spricht, mitsamt der Hinnahme der Dinge, wie sie zum Ende nun einmal sind, verbunden mit der Selbsterkundung unseres eigenen Charakters. Aber es gibt auch die andere Seite bei Gott, die zum dem Kontrafaktischen der Moral passt. Gott wird im Psalm als Du, in Personform, angesprochen. Dieses Du ist kein willkürlich verschlingendes Schicksal. Dieses Du lässt die Menschen sterben und spricht doch ebenso: „Kommt wieder“. Unser Psalm endet damit, dass Gott sich wieder zu uns kehren und uns mit seiner Gnade füllen möge. Auf Unglück und Plage möge Freude folgen. „Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und fördere das Werk unserer Hände bei uns. Ja, das Werk unserer Hände wollest du fördern“ – so lautet das Ende unseres Psalms. Es dürfte von einem anderen Dichter stammen und ein Kommentar zum ersten, düsteren Teil sein. Doch dass auch in Gott eine Umkehrung stattfindet, das passt als Ende zu der Logik der Verborgenheit Gottes in allen Fährnissen, die doch mit dem Gegenbild der Moral zusammenkommt. Und das bedeutet nun ganz praktisch zum Ende des Semesters mit dem Ausblick auf das kommende: Das Werk der Hände tun, und zwar in Sünden gerechtfertigt, für uns und andere, versöhnt und nicht verbissen, gelassen und nicht zwanghaft, in der Hoffnung auf Gelingen. Auch das gehört zum Klugwerden.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus! – Amen.