Jahwe (Ex 3,10-15)
Predigt von Dr. Conrad Krannich zum Universitäts- und Akademiker:innengottesdienst am 25. Mai 2025
In der ESG versammeln wir uns Mittwoch für Mittwoch in unserer urigen Wohnküche rund um den alten knarzenden Küchentisch – feinste Gemeindehaus-Tischlertechnik, die man auf die dreifache Länge ausziehen kann. Viele Generationen vor uns haben schon an diesen Tischen gesessen und gegessen und im Kerzenschein die großen Fragen miteinander gewälzt. Und das spürt man. In jeder Ritze hängt Geschichte.
Wenn wir uns so versammeln in unserer Küche am Tisch und ihn decken mit Couscous und Tee und großen Fragen, dann ist es manchmal ein bisschen so, als schauten die Generationen von den vier Meter hohen Wänden herab und herein. An den Wänden prangen nämlich die Plakate vom Novembernebel-Herbstfest 1999 und die Einladung zu meditativer Musik mit Linda Neutral von 1986 – War das nicht ein Waschmittel? –, und den freien Fleck über dem Sicherungskasten ziert eine Einladung zum Gesprächsabend über das Thema „Die Sowjetunion heute“ vom Februar 1989.
Jede Generation hat sich in dieser Küche auf ihre Weise verewigt und ist immer auch ein bisschen präsent.
Und an diesem Wochenende, da habe ich sie gesehen: die Generationen vor uns, die da alle auch was hinterlassen haben in der ESG. Ich habe sie gesehen zu unserem 80jährigen Gemeindegeburtstag. Was waren das für volle schöne und Begegnungen reiche Tage.
Und da war auch die Frage: Was verbindet uns eigentlich?
Oft denke ich: Dass es da etwas gibt in unserer Mitte, das brennt, und das ist mehr als eine Kerze – das verbindet uns. Dass da etwas brennt und nicht verbrennt. Da lodern die Themen und Fragen, da flackert eine eigenartige Verbundenheit. Nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten. Manchmal brennt die Luft von Konflikten, dass es dir die Schuhe auszieht. Und manchmal möchtest du dir die Schuhe ausziehen, weil du spürst: gerade passiert etwas Besonderes, etwas Heiliges.
Was auch immer da passiert: Selten lässt es dich kalt. Und wahrscheinlich ist das gar nichts ESG-Spezifisches, sondern geschieht überall dort, wo Menschen in den Jahren zusammenkommen, in denen das Herz ganz offen ist und sich so leicht entfachen lässt. Wahrscheinlich könnten die Konviktualen hier ganz Ähnliches erzählen.
„Was brennt da? Und warum verbrennt es nicht?“, fragt sich Mose und geht da hin. Ein bisschen neugierig, ein bisschen eingeschüchtert nähert er sich dem brennenden Dornbusch. Und hört eine Stimme, an der irgendetwas sehr vertraut ist: „Mose, Mose!“
„Mose, Mose!“, hört er. Und da ist alles wieder da: der Vater, den er nicht kennenlernen konnte und dessen Stimme er doch nie vergessen hat; die Tochter des Pharaos, des Tyrannen, die ihn als Kind aus den Fluten zog, weil es sie jammerte. Alles ist wieder da, auch, wie ihn, das hebräische Findelkind, dann doch die verfluchte Vergangenheit einholte: Auf Pharaos Baustelle erschlug er den Polier, weil es ihn jammerte, wie Seinesgleichen gedemütigt wird.
Du entkommst deiner Vergangenheit nicht. Du kannst fliehen, wohin du willst, und begegnest doch überall und immer wieder: dir selbst. Und dann stehst du da am Rande deiner Wüste irgendwo im nirgendwo und weißt nicht, ob du verzweifeln sollst oder einfach nur aufwachen musst. Denn du hörst deinen Namen: „Mose, Mose.“ Alles ist wieder da. Alles, was war. Und noch mehr: Mit einem Mal ist da nicht nur das, was war, sondern auch das, was sein kann und was sein wird: eine Zukunft miteinander in Freiheit.
Namenlose ans Licht, heißt unsere Predigtreihe. Und was für ein Namenloser da ins Scheinwerferlicht der Religionsgeschichte tritt! Gott zeigt sich mit einer Ansage, die Geschichte geschrieben hat: „Ich bin, der ich bin“, übersetzen die einen und andere: „Ich werde mich erweisen, als der ich mich erweisen werde.“ Kurz: Ich bin da, so wie ich es schon war für deine Urururgroßeltern war, die wirklich gar nichts ausgelassen haben an Schicksalsschlägen und zwischenmenschlichem Totalversagen. Sie konnten neu angefangen, nicht nur einmal. Denn ich war da, sagt Gott.
Namenlose ans Licht. Oder auch nicht. Denn dieser Name – „Ich bin, der ich bin. Ich bin da.“ –, ist ja irgendwie auch keiner, bleibt Geheimnis und Gott unbegreiflich, so wie es ein Geheimnis ist, dass da was war und dass da was ist und dass da was kommt. „Ich bin da“ – mehr kriegst du nicht zu fassen von mir, sagt Gott.
Namenlose ans Licht. Noch viel mehr als die Offenbarung Gottes berührt mich, wie Mose hier plötzlich im Scheinwerferlicht steht. Es ist doch Mose, der in dieser Begegnung erkennt, wer er ist, wozu er berufen ist, nämlich die Seinen aus dem Sklavenhaus Ägypten zu bringen in das Land, in dem Milch und Honig fließen. Und das ist ein starkes Stück.
So schön wie das Ziel klingt, ist der Weg freilich nicht. 40 Jahre liegen vor Mose – ein ganzes Berufsleben, ein ganzes Berufungsleben. Und die ihm Anbefohlenen werden jammern und sich zurücksehnen, sie werden murren und zürnen „Lieber der Dreck, den wir kennen, als die unbekannte Freiheit.“
Das ahnt Mose vielleicht und fragt Gott: „Wer bin ich schon?“ „Und was soll ich sagen?“ „Sie werden mir nicht glauben und nicht auf mich hören“, sagt Mose. „Und mitreißend reden kann ich auch nicht.“ Der Text spricht die Fragen Moses aus. Über anderthalb Kapitel wird er zweifeln. Und der Zweifel schillert so kräftig zwischen Hadern und Koketterie, dass am Ende sogar Gott genug davon zu haben scheint.
Ich kenne das von Menschen und Situationen: Da ist eigentlich alles klar und alles gesagt. Du redest dir den Mund fusselig mit noch einem Zuspruch und noch einem bestärkenden Wort. Irgendwann bist du richtig sauer, weil du nicht mehr weißt, was du noch vorbringen kannst. Denn beide, du und ich, wissen: Du wirst das machen, dich der Aufgabe annehmen, weil du Diejenige-welche bist und das kannst und es einfach keine Bessere gibt.
Ja, ich glaube, der Groschen ist gefallen – am Dornbusch. Am Dornbusch überschreitet Mose den Point-of-no-return. Das Feuer springt über: „Mose, Mose.“ Er hört‘s und weiß zum ersten Mal in seinem Leben: „Da kommt was. Von hier aus in bessere Tage. Ich mache das. Ich schaffe das. Und Gott ist bei mir, der Gott meiner Eltern und Urgroßeltern, der da war und der da ist, der wird da sein.“ Es gibt zwei wichtige Tage im Leben eines Menschen, heißt es: der erste ist der Tag, an dem du geboren wirst, und der andere Tag ist der, an dem du herausfindest, warum. (Mark Twain)
Ich glaube, diesen Tag erlebt Mose hier am Dornbusch, auch wenn die Information
In der ESG versammeln wir uns Mittwoch für Mittwoch in unserer urigen Wohnküche rund um den alten knarzenden Küchentisch – feinste Gemeindehaus-Tischlertechnik, die man auf die dreifache Länge ausziehen kann. Viele Generationen vor uns haben schon an diesen Tischen gesessen und gegessen und im Kerzenschein die großen Fragen miteinander gewälzt. Und das spürt man. In jeder Ritze hängt Geschichte.
Wenn wir uns so versammeln in unserer Küche am Tisch und ihn decken mit Couscous und Tee und großen Fragen, dann ist es manchmal ein bisschen so, als schauten die Generationen von den vier Meter hohen Wänden herab und herein. An den Wänden prangen nämlich die Plakate vom Novembernebel-Herbstfest 1999 und die Einladung zu meditativer Musik mit Linda Neutral von 1986 – War das nicht ein Waschmittel? –, und den freien Fleck über dem Sicherungskasten ziert eine Einladung zum Gesprächsabend über das Thema „Die Sowjetunion heute“ vom Februar 1989.
Jede Generation hat sich in dieser Küche auf ihre Weise verewigt und ist immer auch ein bisschen präsent.
Und an diesem Wochenende, da habe ich sie gesehen: die Generationen vor uns, die da alle auch was hinterlassen haben in der ESG. Ich habe sie gesehen zu unserem 80jährigen Gemeindegeburtstag. Was waren das für volle schöne und Begegnungen reiche Tage.
Und da war auch die Frage: Was verbindet uns eigentlich?
Oft denke ich: Dass es da etwas gibt in unserer Mitte, das brennt, und das ist mehr als eine Kerze – das verbindet uns. Dass da etwas brennt und nicht verbrennt. Da lodern die Themen und Fragen, da flackert eine eigenartige Verbundenheit. Nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten. Manchmal brennt die Luft von Konflikten, dass es dir die Schuhe auszieht. Und manchmal möchtest du dir die Schuhe ausziehen, weil du spürst: gerade passiert etwas Besonderes, etwas Heiliges.
Was auch immer da passiert: Selten lässt es dich kalt. Und wahrscheinlich ist das gar nichts ESG-Spezifisches, sondern geschieht überall dort, wo Menschen in den Jahren zusammenkommen, in denen das Herz ganz offen ist und sich so leicht entfachen lässt. Wahrscheinlich könnten die Konviktualen hier ganz Ähnliches erzählen.
„Was brennt da? Und warum verbrennt es nicht?“, fragt sich Mose und geht da hin. Ein bisschen neugierig, ein bisschen eingeschüchtert nähert er sich dem brennenden Dornbusch. Und hört eine Stimme, an der irgendetwas sehr vertraut ist: „Mose, Mose!“
„Mose, Mose!“, hört er. Und da ist alles wieder da: der Vater, den er nicht kennenlernen konnte und dessen Stimme er doch nie vergessen hat; die Tochter des Pharaos, des Tyrannen, die ihn als Kind aus den Fluten zog, weil es sie jammerte. Alles ist wieder da, auch, wie ihn, das hebräische Findelkind, dann doch die verfluchte Vergangenheit einholte: Auf Pharaos Baustelle erschlug er den Polier, weil es ihn jammerte, wie Seinesgleichen gedemütigt wird.
Du entkommst deiner Vergangenheit nicht. Du kannst fliehen, wohin du willst, und begegnest doch überall und immer wieder: dir selbst. Und dann stehst du da am Rande deiner Wüste irgendwo im nirgendwo und weißt nicht, ob du verzweifeln sollst oder einfach nur aufwachen musst. Denn du hörst deinen Namen: „Mose, Mose.“ Alles ist wieder da. Alles, was war. Und noch mehr: Mit einem Mal ist da nicht nur das, was war, sondern auch das, was sein kann und was sein wird: eine Zukunft miteinander in Freiheit.
Namenlose ans Licht, heißt unsere Predigtreihe. Und was für ein Namenloser da ins Scheinwerferlicht der Religionsgeschichte tritt! Gott zeigt sich mit einer Ansage, die Geschichte geschrieben hat: „Ich bin, der ich bin“, übersetzen die einen und andere: „Ich werde mich erweisen, als der ich mich erweisen werde.“ Kurz: Ich bin da, so wie ich es schon war für deine Urururgroßeltern war, die wirklich gar nichts ausgelassen haben an Schicksalsschlägen und zwischenmenschlichem Totalversagen. Sie konnten neu angefangen, nicht nur einmal. Denn ich war da, sagt Gott.
Namenlose ans Licht. Oder auch nicht. Denn dieser Name – „Ich bin, der ich bin. Ich bin da.“ –, ist ja irgendwie auch keiner, bleibt Geheimnis und Gott unbegreiflich, so wie es ein Geheimnis ist, dass da was war und dass da was ist und dass da was kommt. „Ich bin da“ – mehr kriegst du nicht zu fassen von mir, sagt Gott.
Namenlose ans Licht. Noch viel mehr als die Offenbarung Gottes berührt mich, wie Mose hier plötzlich im Scheinwerferlicht steht. Es ist doch Mose, der in dieser Begegnung erkennt, wer er ist, wozu er berufen ist, nämlich die Seinen aus dem Sklavenhaus Ägypten zu bringen in das Land, in dem Milch und Honig fließen. Und das ist ein starkes Stück.
So schön wie das Ziel klingt, ist der Weg freilich nicht. 40 Jahre liegen vor Mose – ein ganzes Berufsleben, ein ganzes Berufungsleben. Und die ihm Anbefohlenen werden jammern und sich zurücksehnen, sie werden murren und zürnen „Lieber der Dreck, den wir kennen, als die unbekannte Freiheit.“
Das ahnt Mose vielleicht und fragt Gott: „Wer bin ich schon?“ „Und was soll ich sagen?“ „Sie werden mir nicht glauben und nicht auf mich hören“, sagt Mose. „Und mitreißend reden kann ich auch nicht.“ Der Text spricht die Fragen Moses aus. Über anderthalb Kapitel wird er zweifeln. Und der Zweifel schillert so kräftig zwischen Hadern und Koketterie, dass am Ende sogar Gott genug davon zu haben scheint.
Ich kenne das von Menschen und Situationen: Da ist eigentlich alles klar und alles gesagt. Du redest dir den Mund fusselig mit noch einem Zuspruch und noch einem bestärkenden Wort. Irgendwann bist du richtig sauer, weil du nicht mehr weißt, was du noch vorbringen kannst. Denn beide, du und ich, wissen: Du wirst das machen, dich der Aufgabe annehmen, weil du Diejenige-welche bist und das kannst und es einfach keine Bessere gibt.
Ja, ich glaube, der Groschen ist gefallen – am Dornbusch. Am Dornbusch überschreitet Mose den Point-of-no-return. Das Feuer springt über: „Mose, Mose.“ Er hört‘s und weiß zum ersten Mal in seinem Leben: „Da kommt was. Von hier aus in bessere Tage. Ich mache das. Ich schaffe das. Und Gott ist bei mir, der Gott meiner Eltern und Urgroßeltern, der da war und der da ist, der wird da sein.“ Es gibt zwei wichtige Tage im Leben eines Menschen, heißt es: der erste ist der Tag, an dem du geboren wirst, und der andere Tag ist der, an dem du herausfindest, warum. (Mark Twain)
Ich glaube, diesen Tag erlebt Mose hier am Dornbusch, auch wenn die Information sich etwas Zeit lässt auf ihrem Weg vom Kopf ins Herz. – Es ist der Moment, in dem Mose erkennt, wie er erkannt ist und wie das alles gedacht ist und was sein Weg ist, seine Aufgabe in dieser Welt.
An diesem Wochenende „80 Jahre Studierendengemeinde Halle“ habe ich so viele Geschichten von Menschen gehört, die das genauso gesagt haben zu ihrer Zeit.
„Ich kann nicht anders. Aber ich wusste: Ich kann das. Ich schaffe das. Ich bin richtig hier, weil es richtig ist. Und solange Gott bei mir ist, soll der Weg sein, wie er ist.“
Und der Weg war, wie er war. Was Menschen erzählt haben aus 80 Jahren Studierendengemeinde! Was sie das persönlich gekostet hat vor 1989, zu sagen: Das ist mein Weg als Christin. Zu welcher Klarheit Menschen gefunden haben in den Studienjahren, in denen das Herz so offen ist und so leicht zu entfachen. Wie konsequent die ihren Weg gegangen sind, auch wenn der Preis so hoch war. Und wie gut sich das trotzdem angefühlt hat, wahrhaftig zu sein.
Wahrscheinlich ist das nichts ESG-Spezifisches. Aber von den ESG-Generationen vor uns habe ich’s gehört an diesem Wochenende. Und gespürt habe ich’s, sehr sogar.
Und wenn ich nächsten Mittwoch in unserer Küche sitze, da werden die Tische und die Plakate unserer ESG-Ahnen wieder erzählen von der großen Geschichte Gottes mit dir, mit mir, mit uns, und die lautet: „Ich bin da, ich war es immer, kannst dich drauf verlassen.“ Und ich werde wissen: Es geht weiter, so wie es immer weitergegangen ist.
sich etwas Zeit lässt auf ihrem Weg vom Kopf ins Herz. – Es ist der Moment, in dem Mose erkennt, wie er erkannt ist und wie das alles gedacht ist und was sein Weg ist, seine Aufgabe in dieser Welt.
An diesem Wochenende „80 Jahre Studierendengemeinde Halle“ habe ich so viele Geschichten von Menschen gehört, die das genauso gesagt haben zu ihrer Zeit.
„Ich kann nicht anders. Aber ich wusste: Ich kann das. Ich schaffe das. Ich bin richtig hier, weil es richtig ist. Und solange Gott bei mir ist, soll der Weg sein, wie er ist.“
Und der Weg war, wie er war. Was Menschen erzählt haben aus 80 Jahren Studierendengemeinde! Was sie das persönlich gekostet hat vor 1989, zu sagen: Das ist mein Weg als Christin. Zu welcher Klarheit Menschen gefunden haben in den Studienjahren, in denen das Herz so offen ist und so leicht zu entfachen. Wie konsequent die ihren Weg gegangen sind, auch wenn der Preis so hoch war. Und wie gut sich das trotzdem angefühlt hat, wahrhaftig zu sein.
Wahrscheinlich ist das nichts ESG-Spezifisches. Aber von den ESG-Generationen vor uns habe ich’s gehört an diesem Wochenende. Und gespürt habe ich’s, sehr sogar.
Und wenn ich nächsten Mittwoch in unserer Küche sitze, da werden die Tische und die Plakate unserer ESG-Ahnen wieder erzählen von der großen Geschichte Gottes mit dir, mit mir, mit uns, und die lautet: „Ich bin da, ich war es immer, kannst dich drauf verlassen.“ Und ich werde wissen: Es geht weiter, so wie es immer weitergegangen ist.