Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Feierwasser (Joh 2,1-11)


Predigt von Prof. Dr. Jörg Ulrich im Universitätsgottesdienst am 26. Mai 2024 in der Schlosskirche in Wittenberg

Liebe Gemeinde,

im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort – und taucht auf einer feuchtfröhlichen Hochzeitsfeier auf, irgendwo in Galiläa. Im Anfang war das Wort und das Wort wurde Mensch – und muss zuerst einmal eine Party retten. Der Jesus des Johannesevangeliums ruft nicht zur Buße, er fastet nicht in der Wüste, er vertreibt keine Dämonen, er predigt nicht in der Synagoge, sondern er feiert, isst und trinkt, amüsiert sich, vielleicht hat er sogar ein Tänzchen gewagt, wer weiß… und als plötzlich der Wein ausgeht, verwandelt er – einem Zauberer gleich – 600 Liter Wasser in ziemlich edlen Wein. Und die Fete geht weiter. Die Erzählung von der Hochzeit zu Kana ist ungewöhnlich, ja anstößig, so sehr, dass die drei anderen Evangelisten sie lieber weggelassen haben. Ob Matthäus, Markus und Lukas die Vorstellung eines ausgelassen feiernden Jesus peinlich war? David Friedrich Strauß, einer der großen evangelischen Bibelausleger des 19. Jahrhunderts, fand das Wunder zu Kana unerträglich: Jesus helfe hier keiner Not ab, sondern „führe einen Reiz der Lust herbei“. Und ja, natürlich kann man fragen: Hat der Retter der Welt, der den Menschen Licht, Wahrheit und Leben bringt – hat der nichts Wichtigeres zu tun als Leuten, die eh schon angeschickert sind, zusätzlichen Wein zu beschaffen? Sollte er sich nicht lieber um das viele ernste und schwere Leid auf Gottes guter Erde kümmern? Aber das tut er doch, könnte man antworten, auch im Johannesevangelium wird Jesus ja nur wenig später Kranke heilen, einen Toten auferwecken, er wird leiden und sterben, begraben werden und auferstehen, uns und aller Welt zur Hoffnung. Aber am Anfang seines Weges steht nun mal das Weinwunder, und von dem heißt es ausdrücklich, Jesus habe hier seine Herrlichkeit offenbart und die Jünger seien zum Glauben gekommen. Also muss doch was dran sein an dieser Geschichte. Dazu vier Anstriche aus dem Text und dann, am Ende der Predigt, noch eine grundsätzliche Bemerkung.

Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr… Das ist das erste. Der Glaube an Jesus bittet um Hilfe für andere. Maria ist aufmerksam. Sie merkt, dass der Festgesellschaft der Wein ausgeht. Maria will den Gästen die gute Laune erhalten, dem Gastgeber die Blamage ersparen. Sie haben nicht genug… also muss geholfen werden, will sagen: Der Glaube urteilt offenbar nicht darüber, welcher Mangel schlimm und welcher weniger schlimm ist. Sondern der Glaube nimmt wahr, wenn es jemandem an etwas fehlt, und bittet um Hilfe: egal worum und egal für wen. Glauben meint: Sich umsehen mit den aufmerksamen Augen Marias. Wahrnehmen, wenn immer Menschen nicht genug haben. Gott um Hilfe bitten in den großen und offensichtlich wichtigen und in den kleinen und doch nur vermeintlich unwichtigen Dingen des Lebens. Jesus um Hilfe bitten für uns und andere. Ihn bitten um das tägliche Brot. Um Wasser und um Wein. Um einen schönen Sonntag. Um einen guten Gottesdienst. Um eine glückliche Partnerschaft. Um Frieden nach innen und außen. Sie haben keinen Wein mehr. Es fehlt an vielem auf der Welt, lieber Gott, und Dir, Jesus, Dir wollen wir das alles ans Herz legen.

Jesus spricht zu ihr: Was geht es dich an, Frau, das ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen… Das ist das zweite. Gott erhört alle unsere Gebete. Aber er erfüllt nicht alle unsere Wünsche, schon gar nicht sofort. Jesu Antwort auf den Hinweis seiner Mutter ist abweisend, geradezu schroff: Was geht’s Dich an, Frau, das ich tue? Redet man so mit seiner Mutter? Reagiert man so auf eine Bitte um Hilfe? Normalerweise nicht, aber: Der Glaube an Jesus weiß oder muss es manchmal schwer lernen, dass der Mann aus Nazareth sich nicht vereinnahmen lässt. Von seiner Mutter nicht, von seinen Jüngern nicht, von den Gläubigen nicht, auch nicht von denen, die seine Botschaft predigen. Das Wort ward Mensch, aber kein menschliches Wort kann dieses menschgewordene Wort zu irgendetwas zwingen. Die Gestalt Jesu bleibt unnahbar. Und unberechenbar. Denn seine schroffe Ablehnung („Was geht es Dich an, Frau?“) ist ja nicht endgültig. Auf sein Nein folgt dann doch noch ein kaum mehr erwartetes Ja. Der Mangel wird behoben. Aus Wasser wird Wein. Aber keiner kann sagen, wie dieser Umschwung zustande kam. Es ist Jesu Entscheidung, seine allein. Gott erhört alle unsere Gebete, aber er bestimmt, welche unserer Wünsche er erfüllt. Wir bitten Dich um so vieles, Herr, aber wir beten auch: Dein Wille geschehe.

Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er sagt, das tut… Das ist das dritte: Der Glaube lässt sich nicht so schnell aus der Fassung bringen. Der Glaube hält fest am Vertrauen. Trotz allem. Maria hätte sich ja geschlagen geben können, sie hätte dem Gastgeber mitteilen können, dass sie auch nichts machen kann, „bedaure!“, sie hätte vielleicht noch ein wenig über ihren missratenen Sohn jammern können, aber nein: Maria glaubt daran, dass die Macht Gottes in Jesus wirkt, eine Macht, die tatsächlich Dinge verändern kann. Maria vertraut der lebensspendenden Kraft ihres Sohnes, auch wenn der sie zunächst nicht zeigt. Maria hält daran fest, dass die Dinge am Ende gegen den Augenschein gut werden können. Was er sagt, das tut! Haltet euch an ihn! Er sorgt für euch – vielleicht nicht sofort, aber schneller als ihr meint. Martin Luther, der, Sie werden es ahnen, kein Kritiker der Weinwundergeschichte und auch insgesamt kein Wein- und Bierverächter war, hat in einer Predigt über unseren Text einmal gesagt: „Also soll dies Wunder[werk] fürnehmlich dahin dienen, dass wir unseren lieben Herren Christum recht lernen erkennen und, wo Mangel und Not bei uns sich finden, mit gewisser Zuversicht zu ihm laufen, Hilf und Gnad bei ihm suchen, und die soll uns gewisslich widerfahren zur rechten Zeit.“ Will sagen: Was immer passiert, der Glaube bleibt dabei: Was er sagt, das tut!

Als aber der Speisemeister den Wein kostete (…), da ruft er den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und dann, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten. Das ist das vierte. Und will sagen: Das Beste kommt zuletzt. Der Speisemeister stellt verwundert und voller Dankbarkeit fest: Du hast das Beste zuletzt geschenkt. Das heißt, dass der Glaube einen erwartungsvollen Blick nach vorne haben darf. Er weiß ja, dass das Beste noch kommt. Der Glaube gibt sich nicht zufrieden damit, dass einem Mangel abgeholfen wird (was ja auch schon was wäre…), sondern er geht allen Ernstes davon aus, dass uns noch Mehr und Besseres geschenkt werden wird. Im Glauben richten sich unsere Augen und Herzen nach vorn. Voller Hoffnung. Voller Zuversicht. Fast übermütig. Ich will nicht ängstlich fragen: Was wird noch kommen, sondern bin fröhlich gespannt auf das, was Gott mit mir vorhat, hat Selma Lagerlöf einmal gesagt. Auch das ist Glaube: Gelassen und vertrauensvoll nach vorne schauen auf das, was uns in Zukunft noch so alles geschenkt werden wird in unserem Leben: Eine gute Begegnung. Eine Tür, die sich öffnet. Ein Fenster, das frischen Wind hineinlässt. Eine Aufgabe, eine neue Herausforderung, eine tröstliche Erfahrung… wer weiß. Ich will nicht ängstlich fragen: Was wird noch kommen, sondern fröhlich gespannt sein auf das, was Gott mit mir vorhat. Du hast den guten Wein bis zuletzt zurückgehalten.

Liebe Gemeinde, im Anfang war das Wort. Und das Wort wurde Mensch und taucht auf einer fröhlichen Hochzeitsfeier auf, wandelt Wasser zu Wein und offenbart seine Herrlichkeit. Und die Jünger glauben. Sie haben gelernt, dass es sich lohnt, für sich und andere zu bitten. Sie haben gesehen, dass Jesus unser Bitten, wenn er will, überreich erfüllt. Sie wissen nun, dass man sich im Vertrauen auf Jesus nicht beirren lassen soll. Und sie sind voller Zuversicht darauf, dass das Beste noch kommt. Das ist die Quintessenz aus diesem nur auf den ersten Blick anstößigen Predigttext. Und nun hatte ich Ihnen noch eine Schlussbemerkung versprochen. Und die geht so:

Auf die herkömmliche Kritik an der Weinwundergeschichte hatte ich eingangs schon hingewiesen: Hat der Retter der Welt, der den Menschen Licht, Wahrheit und Leben bringt, nichts Wichtigeres zu tun, als Wein zu beschaffen? Sollte er sich nicht lieber um das viele Leid auf Gottes guter Erde kümmern? Die verblüffende Antwort, die die Geschichte selbst gibt, lautet: Das Leben darf, ja das Leben muss gelebt und gefeiert werden… Dass wir das Leben feiern, ist keine Ignoranz gegenüber dem vielen Schweren, um das wir wissen, das wir erleben und das uns natürlich belastet. Sondern dass wir das Leben feiern, das ist geradezu ein Elixier, ein Lebens-Elixier, das uns davor schützt, uns ständig auf das Dunkle zu fixieren. Es gibt sie, diese wunderbare Unbeschwertheit, diese Leichtigkeit des Seins… und die darf, ja, die muss auch sein. Gerade der scheinbar so ferne Gott des Johannesevangeliums, gerade der ist sich offenbar nicht zu schade, im Falle eines Falles für Weinnachschub zu sorgen. Gerade der scheinbar so ferne Gott des Johannesevangeliums weiß offenbar ganz genau, dass der Mensch nun mal davon lebt, immer wieder mal ein Liedchen zu summen, ein Tänzchen zu wagen, ein Pfeifchen zu rauchen, sich die Sonne auf den Pelz scheinen und es sich gut gehen zulassen, ein Glas zu erheben und Prost zu sagen: Prosit – es möge nützen…  dankbar zu sein, fröhlich zu sein, auf das Gute zu schauen, das Gott uns schenkt. Wenn wir heute, an diesem schönen Tag im Wonnemonat Mai, irgendwo zu Mittag oder zu Abend essen und dabei vielleicht ein Glas Wein genießen, wenn wir in nächster Zeit auf fröhlichen Hochzeits- oder Geburtstagsfesten auftauchen werden als Gastgeber oder als Eingeladene, wenn wir in drei Wochen vielleicht wieder hierher nach Wittenberg kommen, um bei Luthers Hochzeit zünftig mitzufeiern… und ja, wenn wir ab Mitte Juni in unserem Land, achtzehn Jahre nach dem Sommermärchen, ein riesiges Fußballfest veranstalten, auf dem wir Gästen aus ganz Europa die Arme öffnen und zeigen, dass man sich bei uns fröhlich begegnen, ausgelassen feiern, gut gelaunt Geschichten erzählen und dabei wohl auch ein frisch gezapftes Bier zu sich nehmen kann, und wenn dann – Gott möge es geben – eine Stimmung entsteht, in der Menschen zusammengeführt und eben nicht auseinandergetrieben werden, dann werden wir wieder einmal neu spüren: Fröhliche Feste üben uns in der Freude am Leben ein. Fröhliche Feste sind ein Lebenselixier, auch und gerade in Zeiten wie diesen, in denen man manchmal den Eindruck hat, dass die Katastrophen sich die Klinke in die Hand geben.

Der Kirchenvater Hieronymus sei einmal von einem Spötter gefragt worden: „Was denkst du eigentlich, wie lange hat der Wein von Kana wohl gereicht?“ Und Hieronymus habe geantwortet: „Wir leben heute noch davon.“
Amen.

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