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Arm dran? (1.Kor 15,12-20)


Predigt von Universitätsprediger Prof. Dr. Friedemann Stengel zum Semestereröffnungsgottesdienst am 7. Oktober 2024

Liebe Universitätsgemeinde, liebe Stadtgemeinde, liebe Gäste,

am Anfang des Semesters haben wir, so scheint es, ein End-Thema auf dem Tisch. Aber es ist gar nicht klar, worauf das Ende aller Dinge eigentlich abzielt. Meint das Ende aller Dinge vielleicht nur das Ende der Dinge, die wir mit unseren Sinnen erfassen können? Nur unser eigenes Ende? Oder Spekulationen über Weltende und Endlichkeit? Vielleicht fällt das alles sogar zusammen, wenn wir an ein Ende denken, ob nun als Christinnen und Christen, als Andersgläubige, Nichtgläubige oder vielleicht Nichtmehrgläubige. Im Laufe des Semesters werden wir eine ganze Reihe von Perspektiven bedenken, die mit der Tür verbunden sind, die Sie auf den Programmflyern sehen, einer Tür, die keinen Blick auf das zu erlauben scheint, was dahinter ist. Unser erster Text vom Ende hat demgegenüber eine klare Nachricht: der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden. So endet Paulus nach einem scharfen Argumentationsgang, in dem er sich mit denjenigen auseinandersetzt, die genau das bezweifeln. Es gibt keine Auferstehung sagen sie, und Paulus folgert, dann ist auch Christus nicht auferweckt, dann ist unser Glaube umsonst und dann sind wir arm dran und mehr: die „elendsten unter allen Menschen“!

Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube – das ist kein altes und kein neues Wort. Es teilt, es trennt, und es verbindet uns quer durch Gesellschaft und Kirche, Süd, Nord, Ost und West. Etwas ältere Umfrage­ergebnis­se wundern nicht: nur 40 Prozent der Ostdeutschen können sich ein Leben nach dem Tod vorstellen, aber noch zwei Drittel der Deutschen insgesamt, noch mehr in Polen, Italien und den USA, sogar neun Zehntel der Muslime. Interessanterweise glauben Jüngere mehr daran als ältere. 30% Evangelische können mit einem Leben nach dem Tod nichts anfangen, aber nur 15% Katholische.

Es ist ein heikles Thema, das mir sehr am Rande zu stehen scheint. Dabei steht unser Ende mitten in unserem Leben, so verschieden unsere Erfahrungen damit sind. Ein Wechselbad der Gefühle durchzieht uns, zwischen Hoffnung, Befürchtung, Erwartung. Auf einem meterhohen Grabmonument aus der Gründerzeit reißt ein Mann mit seiner rechten Hand an einer gigantischen Stahltür und hält sich verzweifelt die linke vors Gesicht. Ich erinnere mich als wäre es heute, dass mich das als Kind auf dem Friedhof meiner Vorfahren schon tief erschüttert und erschreckt hat, ein Ende aller Dinge als Nimmerwiedersehen und abgrundtiefe Verzweiflung. Ein Wechselbad von Gefühlen durchzieht uns, verbunden mit Spekulationen.

Und mit Scheu und Scham. Wer behält seine Hoffnungen, ja, auch Erfahrungen an ein Leben nach dem Tod nicht lieber für sich, um sich nicht Reaktionen auszusetzen zwischen Verständnislosigkeit, Spott und dem Vorwurf von Aberglauben, Unwissenschaft und Spinnerei? Ist bei diesen Vermeidungsstrategien und dem Wunsch, modernekompatibel und rational zu erscheinen, nicht auch viel vom Auferstehungsglauben unter die Räder gekommen? Immerhin hat sogar ein früherer EKD-Ratsvorsitzender über die Auferstehung so gepredigt, dass das neue Leben auch dort beginnt, wo sich zwei Menschen in die Arme schließen und wir immer neue Anfänge suchen sollen – als Vorschein der Auferstehung, die hier zwar nicht ganz wegfällt, aber eben doch ins Diesseits verschoben wird. Mir fällt eine Sprachlosigkeit auf, die ich als Defizit empfinde, manchmal ein Herumreden um den heißen Brei, manchmal ein Umdeuten wie es zuweilen im sogenannten Rationalismus des 18. und 19. Jahrhunderts getan worden ist, als an Ostern vom Sinn des frühen Aufstehens gesprochen wurde. Demgegenüber ist ausgerechnet der fromme Atheist Wolf Biermann zornig geworden, als eine Pastorin in den 1970ern öffentlich die leibliche Auferstehung bestritt. Eine unverschämte Anpassung an den Zeitgeist war das für ihn – Identitätsaufgabe an der Zentralstelle. Wie sehr sind Jenseitsvertröstung und Diesseitsorientierung gegeneinander ausgespielt worden.

Uralt sind die Zweifel, die Debatten und auch die Vorwürfe. Es ist ja keinesfalls erst der berühmte, damals anonyme Wolfenbütteler Fragmentist in den 1770er Jahren gewesen, der das leere Grab als Apostelbetrug erklärt hatte; der Leichnam sei gestohlen worden, um die Leute zu täuschen. Dieser Verdacht kursierte seit dem leeren Grab selbst, auch wenn manche statt Betrug vorsichtiger von Phantasie, Wunschdenken, Verwechslung sprachen. Da ist ein ganzes Stück antijüdische Theologie eingeflossen, vor allem bei manchen sogenannten Aufklärern des 18. Jahrhunderts, die die Auferstehung des Leibes für eine typisch jüdische Vorstellung hielten. Sie glaubten lieber an die Unsterblichkeit nur der Seele und hielten sie fast durchgehend für das Zentrum einer Religion, die sich für vernünftig hielt. An den Leib und an einen leiblichen Messias glaubten nur Juden und Jüdinnen, meinten sie.

Seit je und von Anfang an wird um diese Frage gerungen und sie bleibt offen: wie unser sterblicher Körper sich zu seiner Seele verhält, zu demjenigen, was nicht mit dem Körper identisch ist, was uns belebt, etwas nicht Materielles, was nicht den Sinnen unterliegt, als Impuls, als Wille und Liebe, dessen Ursache sich nicht einfach in biochemischen Formeln auflösen und messen lässt. Warum sollte man überhaupt annehmen, dass die Seele mit dem sterblichen Körper vergeht? Müßige Fragen, die ins allerletzte aller Dinge verschoben werden sollen, meinen manche, wenn nicht sogar falsche Fragen, die uns von Hier auf Dort vertrösten wollen und das Hier zum Ort der Trostlosigkeit machen. Menschen sprechen vom Fortleben in Herzen und Gedanken, von fiktiven Dialogen, die aber eigentlich Selbstgespräche sind, und von der Erinnerung als dem letztlich einzigen Ort es Fortlebens. Aber haben wir nicht unser ganzes Leben mit dem Ende aller Dinge zu tun und tun oft so, als wäre es wirklich das Ende?

Und es gibt Erfahrungen mit der Grenze. Einige haben sie selbst gemacht, gespürt, gesehen. Ganz unterschiedlich erleben es Menschen, die ihre Liebsten begleiten. Menschen berichten von Sterbebettvisionen, von Nahtoderfahrungen, von Nachtoderfahrungen, von Begegnungen und vermeintlichen Träume. Es gibt geschützte Räume, in denen darüber gesprochen wird – um nicht verlacht oder bemitleidet zu werden. Seien Sie gespannt auf das, was nach dem Tod des Körpers kommt, sagt der Neutestamentler Enno Popkes, der an der Kieler Universität eine Akademie für Thanatologie, für die Wissenschaft vom Tod, gegründet hat. Am Buß- und Bettag wird er hier in der Marktkirche predigen und einen Tag vorher eine Gastvorlesung über dieses Thema an der Theologischen Fakultät halten.

„Nun ist aber Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind,“ schreibt Paulus lapidar, im Indikativ. Die Frage nach dem ewigen Leben ist keine Frage, die ans allerletzte Ende aller Dinge verschoben werden kann, ans Sterbebett, in die Friedhofskapelle, ans Grab. Sie steht im Zentrum des Glaubens, und wir wären die ärmsten, wenn wir sie nicht glauben würden. Triegels Naumburger Altarbild zeigt zu Füßen des Auferstandenen Nägel, Dornenkrone und ein Leichentuch, unter das kein Blick möglich ist. Verborgen ist, wie Leib und Seele bleiben oder neu werden. Entscheidend ist, dass Jesus auferweckt ist nach seiner ganzen Person, über Leib und Seele hinaus, als eine Umwertung, die jeden Leibseeledualismus durchkreuzt. Es ist die Person, die bleibt und nicht vergeht. Das ist nicht symbolisch, so als ob mit der Auferstehung die Fortdauer der Lehre Jesu gemeint wäre. Glauben wir das, stehen wir am Ende des Lebens nicht mit einem selbsteingeredeten Trost. Sonst wäre „ihr seht euch wieder“ und „wir bleiben verbunden“ Valium für die trauernde Seele. Ohne diesen Glauben wären wir arm dran. Warum? Im Alten Testament wurde immerhin auf einen lebendigen Gott gehofft, nun etwa auf einen Menschen, der gar nicht auferstanden wäre?

Nun aber ist Christus auferweckt worden, schreibt Paulus im Indikativ. Wir werden verwandelt, heißt es am Ende des 15. Kapitels des 1. Korintherbriefs, „wir“ als Personen, nicht aufgesogen und aufgehoben in ein göttliches amorphes Wesen oder ins Nirvana. Wir werden verwandelt, nicht neu geschaffen. Was bleibt, ist die Person jedes einzelnen, sogar inklusive eines verwandelten Leibes. Wir erwarten am Ende eine Heilung unserer irdisch unvollkommenen Identität, und mehr als das: wir dürfen mit ihr rechnen. Übrigens: auch diejenigen, die den christlichen Glauben nicht teilen? Das ist mit sehr guten Gründen in der Christentumsgeschichte immer wieder klar bejaht worden, gerade von denen, für die jeder Mensch nicht nur eine unverletzbare Würde, sondern auch ein unverlierbares Wesen hat.

Vielleicht können wir auf uns und auf unsere Lieben, Nachbarn, Gegnerinnen und Gegner genau deshalb ganz anders schauen, wenn uns bewusst ist, dass wir im Kern geschaffen und unvergänglich sind. Vielleicht kann das Vertrauen auf das Leben danach eine allzu starke, druckbeladene Fixierung auf das Jetzt auflösen. Nicht dass wir damit nichts oder weniger zu tun haben sollten. Nein: unsere Verantwortung und unsere Aufgaben bleiben. Aber vielleicht mag manche Bürde, die auf dem Jetzt und Hier lastet, entlastet werden, wenn wir uns bewusst machen, dass das Hier gerade nicht alles ist und nicht aller Sinn jetzt und hier und von uns gemacht wird. Denn dieses Leben ist nicht alles. Die Dinge, auch die letzten, und das große Ganze liegen nicht nur hier, sondern auch nach dem Tod unseres Leibes in der Hand Gottes, des Auferstandenen. Das ist auszusprechen, auszudenken, auszufühlen. Da haben wir ein Pfund, das wir wuchern lassen sollten, damit die Hoffnung Platz gewinnt. Wenn wir von Gottes Liebe zu jedem und jeder Einzelner sprechen, kann der Tod das nicht beenden. Und wenn wir von Hoffnung auf neues Leben sprechen, dann nicht nur von der Hoffnung auf einen Neuanfang in diesem Leben, sondern von Hoffnung auf das Drüben, von dem das Hier nur eine Etappe ist. Ohne Scheu und Scham dürfen wir das glauben und auch sagen, als Zentrum der frohen Botschaft, dass wir selbst am Ende aller Dinge nicht am Ende sind, sondern mitten im Übergang. Von dort fallen die Strahlen in uns und sie erhellen die Welt.
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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