Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Hallescher Pietismus und »Orient«

Poster Hallescher Pietismus und »Orient«

Poster Hallescher Pietismus und »Orient«

Poster Hallescher Pietismus und »Orient«

27.–29. September 2023
Interdisziplinärer Workshop "Hallescher Pietismus und »Orient« – Dynamiken globaler religiöser Interaktionen im 18. Jahrhundert"

Was hat Halle mit dem „Orient“ zu tun? Der Frage nach den globalen Verbindungen der Universität Halle und des Halleschen Pietismus im 18. Jahrhundert ging ein interdisziplinärer Workshop nach. Die internationale Veranstaltung wurde gemeinsam durch die Theologische Fakultät der MLU, das Interdisziplinäre Zentrum für Pietismusforschung der MLU, die Franckeschen Stiftungen, die Universität Hamburg und die Universität München organisiert.

In der formativen Phase des Halleschen Pietismus stellte der »Orient« einen zentralen Bezugspunkt und zugleich eine wichtige Projektionsfläche dar. Diese Fokussierung beruhte wesentlich auf dem praxisorientierten Interesse an der weltweiten Mission und der Kontaktaufnahme mit den christlichen Kirchen Osteuropas, West- und Südasiens sowie Nordostafrikas, aber auch auf einer Konjunktur der orientalischen Philologie an der 1694 gegründeten Universität Halle als einer jungen und sich in Aufschwung befindlichen Wissenschaftsdisziplin. August Hermann Francke, der seine Laufbahn an der Universität Halle ausgerechnet als Professor für orientalische Sprachen begonnen hat, hat diese zwei Traditionsstränge der Wissensproduktion in Bezug auf den »Orient« zusammengeführt und durch die Gründung des Collegium Orientale Theologicum bereits 1702 institutionalisiert. Noch in den nachfolgenden Generationen Hallescher Pietisten spielte der »Orient« eine gewichtige Rolle, wie sich zum Beispiel am 1728 gegründeten Institutum Judaicum et Muhammedicum des Francke-Schülers Johann Heinrich Callenberg zeigt. Einzubetten ist diese für den Pietismus prägende Entwicklung in den größeren europäischen Kontext protestantischer Auseinandersetzungen mit dem »Orient«. Angefacht durch die Informationen über erfolgreiche missionarische Projekte der katholischen Konkurrenz machte sich ab dem 17. Jahrhundert auch unter den Angehörigen der protestantischen Konfessionen ein Aktionismus breit, der auf die Ostchristen fokussiert war. Neben dem Judentum, welches im Halleschen Pietismus auch als eine explizit »orientalische« religiöse Erscheinung greifbar ist, geriet auch der Islam in den Blick der Hallenser.

Der Workshop widmete sich der Vielzahl an Initiativen, die aus diesem Aktionismus hervorgingen und in vielen Fällen nie über das Stadium der Planung hinauskamen. Dabei lag der Fokus auf der Imagination verschiedener Räume und religiöser Traditionen durch mobile Akteure ebenso wie durch Daheimgebliebene als spezifisch »orientalisch«. Die Ambivalenz dieser Projektionen lag zwischen dem »Orient« als Sehnsuchtsort (etwa als Ort der Überlieferung eines genuinen Christentums und potentieller antikatholischer Verbündeter) und als Abschreckungsort (an dem etwa Aberglaube und Rückständigkeit vorherrschten). Der »Orient« lässt sich demzufolge als eine polysemantische und äußerst heterogene Leitkategorie verstehen, die für die pietistische Weltwahrnehmung und -beschreibung im 18. Jahrhundert von zentraler Bedeutung war. Die Komplexität dieses imaginären Raumes wurde durch eine dezidiert interdisziplinäre Betrachtungsweise abgebildet. Neben den Vorträgen konnten materielle Niederschläge dieser Verhältnisse zum Orient begutachtet werden. So finden sich Manuskripte und Bücher in zahlreichen Sprachen im Schriftenschrank in der Kunst- und Naturalienkammer des Waisenhauses sowie in Archiv und Bibliothek der Franckeschen Stiftungen.

Vorträge:

Stanislau Paulau (Halle): Peter Heyling und »die zerfallenden Kirchen des Orients«: Zur Genealogie protestantischer Mission von Johann Heinrich Michaelis bis Gustav Warneck

Daniel Haas (Hamburg): Zum Verhältnis von Halleschem Pietismus und Christlichem Orient in Johann Heinrich Callenbergs Neuester Kirchengeschichte

Stefano Saracino (Jena/München): Heinrich Wilhelm Ludolf und die Hoffnungen der Pietisten in die »griechische Nation«

Nikolas Pissis (Korfu): Serapheim aus Mytilene zwischen London, Halle und Moskau

Martin Illert (Halle): Makarios ›der Ägypter‹ in Balthasar Köpkes Wahrer Theologia Mystica

Dragana Grbić (Köln): Beziehungen zwischen der Metropolie von Karlowitz und Halle im 18. Jahrhundert

Paulien Wagener (Halle): Armenische Studien in Halle im Spiegel der historischen Buchbestände der Franckeschen Stiftungen

Thea Sumalvico (Halle): »Orientalisches« Judentum als das Andere des »vernünftigen« Christentums? Konstruktionen bei Johann David Michaelis und anderen Theologen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Simon Mills (Newcastle): Christian Benedict Michaelis (1680–1764) and Arabic Studies in Eighteenth-Century Halle

Ralf Elger (Halle): Islamwissenschaftliche Perspektiven auf pietistische Orientreiseberichte

Magnus Ressel (Bremen): Das pietistische Netz in Venedig und die Verbindungen der beiden Franckes in das östliche Mittelmeer

Silke Förschler (Jena): Aneignungen der Grabeskirche. Gesammelte Topologien

Flyer "Hallescher Pietismus und »Orient«"
Francke_Wissenschaftsreihe_Orient_final-web.pdf (158,2 KB)  vom 05.10.2023

Der Tagungsbericht ist in H/Soz/Kult erschienen.

Zum Seitenanfang