Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weiteres

Login für Redakteure

Johann Jakob Wettstein

1. Leben und Werk
1.1. Lehr- und Studienjahre

Der aus einer berühmten Gelehrtenfamilie stammende und sich nach seinen Vrgängern auch Wetstenius schrieb wurde bereits mit 13 Jahren Student der Philosophie in Basel. Zahlreiche berühmte Gelehrte seiner Zeit zählen zu seinen Lehrern (z.B. Samuel Battier in der Graecistik und Johann Buxtorf im Hebräischen). Seit 1709 studiert er auch Theologie und ist besonders durch Johann Ludwig Frey (†1759) beeinflußt, der in ihm die Liebe zur Textkritik weckt. Dies mündet darin, daß er bereits in Studienjahren die in Basel vorhandenen Handschriften des NT vergleicht. Das Ergebnis dieser Studien zur Textkritik ist die Dissertation 1713 zu folgendem Thema: De variis Ni Ti lectionibus. Es geht ihm darum den Nachweis zu führen, daß die textkritischen Ergebnisse der Dignität der Schrift nicht schaden oder zu ihr im Widerstreit stehen. Es folgen Studienreisen, die ihn nach Zürich, Bern, Genf, Lyon, Paris und schließlich nach England führten, wo er führende Forscher auf dem Gebiet der Textkritik traf. Vor allem ist hier Richard Bentley zu nennen, dessen Vorarbeiten auf demselben Gebiet Wettstein beeinflußten und in ihm einen gleichberechtigten Partner fand.

1.2. Die Zeit in Basel: 1717–1730

1717 kehrt Wettstein nach Basel zurück, um eine Pfarrstelle anzutreten, die gleichzeitig eine Dozentur an der Universität enthielt. Letzteres äußerte sich etwa darin, daß er auf Wunsch Freys ntl. Exegese mit den Studierenden trieb. In dieser Zeit ist wohl der Entschluß gefallen, eine wissenschaftliche Ausgabe des NT zu verfassen. Fatalerweise verbreitete sich das Gerücht, er wolle mit dieser Arbeit die Dignität der Schrift bezweifeln, was etwa anhand von 1Tim 3,16 vermutet wurde. Seit Ende 1728 nun wurden die Vorwände und Angriffe gegen ihn heftiger; auch Weggenossen (z.B. Frey) lösten sich von ihm und es erhob sich aufgrund seiner textkritischen Methodik der Vorwurf des Sozinianismus gegen ihn (vgl. dazu auch die Vorwürfe des Patripassianismus). Am 13. Mai 1730 wurde der vorläufige Friede aus Sicht der Obrigkeit mit der Entlassung Wettsteins wieder hergestellt.

1.3. Die Zeit der Widerstände: 1731–1733

In Amsterdam angekommen publizierte er zunächst anonym die Prolegomena zu seinen textkritischen Analysen: Prolegomena ad Novi Testamenti graeci editionem accuratissimam, e vetustissimis codd. mss. denuo procurandam, in quibus agitur de codd. mss. Ni Ti, scriptoribus graecis, qui No To usi sunt, versionibus veteribus, editionibus prioribus et claris interpretibus; et proponuntur animadversiones et cautiones ad examen variarum lectionum Ni Ti necessariae. Der Druck des folgenden Bandes unterblieb jedoch, vermutlich aufgrund der Befürchtung, die Abweichungen vom textus receptus seien zu groß.

Das Angebot einer philosophischen Professur in Amsterdam wurde damit verbunden, daß W. sich in Basel dem Vorwurf heterodoxer Theologie stellen müsse. Er reiste zu diesem Zweck nach Basel, um die Sachlage erneut prüfen zu lassen. Dies geschah am. 22. März 1732 dahingehend positiv, als der vollständige Vorwurf seitens der Obrigkeit fallengelassen wurde und er zum Predigtam und zur Verwaltung der Sakramente wieder zugelassen wurde. Weitere Intrigen führen jedoch dazu, daß diese positive Wendung im Mai 1733 wieder zurückschlägt und die Erlaubnis wieder entzogen wurde. Am 21. Dezember d.J. wurde W. die Erlaubnis zur Lehre in der Philosophie und Hebraistik unter folgenden Auflagen erteilt:

  • 1. Keine sozinianische Lehre;
  • 2. das griech. NT dürfe nirgends direkt oder indirekt publiziert werden;
  • 3. die Publikation seiner Schriften dürfe nur unter der direkten Aufsicht der Remonstranten geschehen;
  • 4. eine Apologie seiner Sache müsse unterbleiben.

Wettstein fügte sich diesen Bedingungen, bewarb sich zwar für verschiedene Professuren, wurde jedoch nie berücksichtigt. Sogar die per Los zugefallene Professur in der Graecistik – eine zeitlang erfolgte die Besetzung mittels Los, um den Einfluß aristokratischer Kreise zu unterbinden – lehnte er ab. Lebens- und Arbeitsmittelpunkt war jedoch von nun an Amsterdam.

1.4. Die Zeit in Amsterdam: 1734–1754

Nach Amsterdam zurückgekehrt wird W. für die zweite Hälfte des soeben druckfertigen Buches der textkritischen Ausgabe von Gerhard von Mastricht benötigt. Er beseitigt hier wichtige Versehen und fügt ein Variantenverzeichnis ein. Das anonym von ihm verfaßte Vorwort setzt sich u.a. deutlich mit der ebenfalls in dieser Zeit erschienenen Ausgabe Bengels auseinander.

Die inzwischen verstrichene Zeit für die Fertigstellung seiner eigenen Ausgabe wirkte sich – auch wenn zwischenzeitlich ähnliche Werke publiziert wurden – keineswegs schädlich aus, da er zahlreiche Kollationen und Vergleichstexte in seinen immer weiter anwachsenden Apparat integrieren konnte.

Am 9. März 1754 starb W. unverheiratet; sowohl seine Mutter alsauch sein Gegner, Frey, sollten ihn überleben.

2. 1751/1752: Die Publikation seiner Ausgabe
2.1. Zur äußeren Gestaltung der Ausgabe

Unter folgendem Titel publizierte W. seine NT: Novum Testamentum graecum editionis receptae cum lectionibus variantibus codicum mss., editionum aliarum, versionum et patrum necnon commentario pleniore ex scriptoribus veteribus hebraeis, graecis et latinis historiam et vim verborum illustrante opera et studio Joannis Jacobi Wetstenii, Amstelaedami ex officina Dommeriana 1751 und 1752; in folio (32,5 x 21cm). Zwei Vortitel und zwei Haupttitel in Rot/Schwarz mit Titelvignette und zwei Zwischentiteln bilden die ersten Seiten.

Der Satz ist ein- u. 2-spaltig in griechischem und lateinischem Druck mit hebräischen Satzeinschüben sowie Zierinitialen und Vignetten in Holzschnitt. Der im Haupttext gebotene griechische Text ist im wesentlichen der von Elzevir (1624), also mithin kein von W. selbst rekonstruierter Text. Sein durch die Errata (S. 918–920) ergänzter Textbestand ist auch darüber hinaus nicht ganz fehlerfrei, was etwa Apg 1,1 zeigt. Im ersten einspaltigen der beiden Apparate bietet Wettstein textkritische Hilfen inklusive Erläuterungen, während der zweite im Zweispaltensatz Vergleichsmaterial aus Judentum und Hellenismus bis hin zu Rabbinica bietet.

Wenn Sie im "Alten Wettstein" blättern wollen, dann können Sie das unter folgender Adresse    tun. Ansonsten mag folgende kleine Datei einen Eindruck zu vermitteln:

wettstein titelblatt 1

wettstein titelblatt 1

Wettstein Titelblatt 2

Wettstein Titelblatt 2

joh_ev_einl jpg

joh_ev_einl jpg

joh_1_1 jpg

joh_1_1 jpg

2.2. Die Rezeption des Bandes

J. S. Semler sollte die prolegomena und die animadversiones 1764 mit eigenen Anmerkungen herausgeben; 1763 erschien in London ein von W. Bowyer herausgegebene Ausgabe, die im Haupttext jenen griech. Text bot, den auch W. selbst vorgesehen hatte, aber als alternative Lesart im Apparat geboten wurde. Er fügte in Klammern hinzu, was bei W. im Haupttext stand und quasi den textus receptus darstellte.

3. Die Bedeutung des Werkes

Die Bedeutung dieses Werkes muß in mindestens drei Perspektiven erhoben werden:

  1. Es ist für die textkritische Forschung bis zum heutigen Tag selbstredend, die von W. eingeführten Unterscheidungen weiterzuführen: Majuskeln werden mit Großbuchstaben bezeichnet (A=Alexandrinus), Minuskeln und Lektionare erhalten arabische Ziffern. Darüber hinaus wird bei Evangelien, Apostelgeschichte, etc. jeweils neu gezählt. Heute heißt dies, daß Papyri mit vorangestelltem P gekennzeichnet werden, Majuskeln durch eine 0, die Lektionare durch kleines l.
  2. Materialiter wird durch die Textkritik die Möglichkeit geschaffen, zwischen Gotteswort und Menschenwort zu unterscheiden. Dies geschieht freilich erst durch J. S. Semler selbst (s.o.).
  3. Der Zusammenhang zwischen hellenistischem und jüdischem Material in seinem Einfluß auf ntl. Aussagen ist von entscheidender Bedeutung und bis in die Gegenwart hinein hermeneutische Arbeitsgrundlage: Nicht einseitig jüdisches oder griechisches Material ist zur Exegese heranziehen, sondern vielmehr sind beide Deutungsmuster zu berücksichtigen.

4. Literatur

  • Aland, Kurt, Hannick, Christian, Junack, Klaus, Art. Bibelhandschriften 2, Theologische Realenzyklopädie 6, Berlin, New York 1980, 114–131.
  • Bertheau, Carl, Art. Wettstein, Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 21, Leipzig 3. Aufl. 1908, 198–203.
  • Merk, Otto, Art. Literarkritik II, Theologische Realenzyklopädie 21, Berlin, New York 1991, 222–233.
  • Metzger, H.-O., Art. Wettstein, Johann Jakob, Religion in Geschichte und Gegenwart 6, Tübingen 3. Aufl. 1962, Sp. 1671.
  • Schäfer, Karl Th., Art. Wettstein (Wetstenius), Johann Jakob, Lexikon für Theologie und Kirche 10, Freiburg 1965, Sp. 108.
  • Seelig, Gerald, Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart. Studien zur Geschichte und Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs in der neutestamentlichen Wissenschaft, ABG 7, Leipzig 2001.

Zum Seitenanfang