Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Deutscher Orientalistentag 2004 - Sektion Altes Testament

Kurzzusammenfassungen der Referate der Sektion Altes Testament

Die Referate der Sektion Altes Testament finden Dienstag, d. 21. September 2004, 9-15 Uhr in der Burse zur Tulpe (am Universitätsplatz), im Anhalter Zimmer statt.
Eine Gesamtübersicht zum Deutschen Orientalistentag 2004 in Halle findet sich unter http://www.dot2004.de    .

Block 1: Dienstag 14.00 - 15.30 Uhr
I. Meik Gerhards
II. Benjamin Ziemer
III. Arndt Meinhold

Block 2: Dienstag 15.45 - 17.45 Uhr

IV. Martin Arneth
V. David Wagner
VI. Alexander Achilles Fischer
VII. Ernst-Joachim Waschke

I. Meik Gerhards, Sargon und Mose - die Aussetzungsgeschichte des Mose als Rezeption der Akkadischen Sargonlegende
Ex. 1,8-2,10* bildet einen zusammenhängenden Komplex, der die Aussetzungsgeschichte des Mose im engeren Sinne (Ex. 2,1-10*) und ihre Vorgeschichte (Ex. 1,8-22*) umfasst. Für die Aussetzungsgeschichte im engeren Sinne wurde schon lange ein Zusammenhang mit der Akkadischen Sargonlegende, einem aus neuassyrischer Zeit stammenden und wahrscheinlich bis in achämenidische Zeit überlieferten Grundtext mesopotamischer Königsideologie, angenommen. Die ältere Forschung dachte dabei überwiegend an einen indirekten Zusammenhang vermittelt durch ein weitverbreitetes Wandermotiv. Demgegenüber ist aber die Annahme einer unmittelbaren Rezeption aus mehreren Gründen im Vorteil:

  • Sie kommt ohne die Zusatzannahme mündl. Vorstufen und nicht mehr nachweisbarer mündl. Traditionsströme aus. - Die literarische Rezeption mesopotamischer Texte hätte mindestens in der Sintflutgeschichte eine Parallele. Darüber hinaus wäre eine israelitische Rezeption der Akkadischen Sargonlegende auch insofern nicht parallelenlos, als diese wahrscheinlich auch im achämenidischen Persien rezipiert wurde.
  • Die Übereinstimmungen zwischen der Aussetzungsgeschichte des Mose und der Akkadischen Sargonlegende sind eng genug, um eine unmittelbare Rezeption anzunehmen, während sich die Unterschiede als bewusste Abänderung der Mosegeschichte gegenüber der Sargonlegende erklären lassen.
    Versteht man die Aussetzungsgeschichte des Mose als unmittelbare Rezeption der Sargonlegende, so betrifft das freilich nicht nur die Aussetzungsgeschichte im engeren Sinne, sondern den gesamten Komplex Ex. 1,8-2,10*. Die Rezeption geschah in kritischem Geiste, wobei die Sargongestalt der akkadischen Legende auf die beiden Hauptpersonen des Pharao, der Ex. 1,8-22* dominiert, und des Mose, der Ex. 2,1-10* dominiert, aufgeteilt wurde. Da der kritischen Aufnahme des mesopotamischen Königsideals aktuelle Bedeutung zu unterstellen ist, ist die Aussetzungsgeschichte des Mose wohl als eine während des Exils entstandene Erwartungsgeschichte zu interpretieren, die zum Ausdruck bringen soll, dass Gott Israel auch nun wieder eine Rettergestalt schicken wie während der Ägyptenzeit Mose.

II. Benjamin Ziemer, Könige oder Väter? Die Listen vorsintflutlicher Helden im Alten Orient und das Spezifikum des chronologischen Systems des Buches Genesis
Die Gliederung der menschlichen Urzeit durch eine Reihe von Namen vorsintflutlicher Helden bildet eine der offenkundigsten Gemeinsamkeiten zwischen der klassischen Literatur Mesopotamiens und dem Buch Genesis. Da über die Richtung der Abhängigkeit angesichts des Alters der mesopotamischen Quellen (sumerische Königsliste um 2000 v.Chr.) kein Zweifel bestehen kann, soll gefragt werden, wie die hebräischen Schriftsteller in (Gen 4 und) Gen 5 mit den mesopotamischen Listen umgehen.
Dabei lässt sich für den Komponisten von Gen 5 zeigen, wie er sowohl die mesopotamischen, als auch die ihrerseits von der mesopotamischen Tradition abhängigen hebräischen Traditionen (Gen 4) aufnimmt und im Sinne seiner eigenen Theologie transformiert. Unmittelbar an die mesopotamische Tradition knüpft die Verbindung der Liste mit exakten Jahreszahlen an, während die Namen und die genealogische Struktur der Liste der hebräischen Tradition entnommen sind.
Durch die einmalige (in Gen 11,10-26 weitergeführte) Zeitrechnung nach Jahren von der Geburt bis zur Zeugung des die Linie weiterführenden Nachkommen tritt an die Stelle einer Königsliste eine Geschichte von Zeugungen, welche die Gottebenbildlichkeit des Menschen weitergeben und auf die Offenbarungsgeschichte mit Noah, den Erzvätern und Mose hinführen. Das menschliche Königtum hat damit seine kosmologische Funktion verloren; an dessen Stelle ist die aus Gottes Segen fließende Herrschaft des Menschen über die Schöpfung getreten.

III. Arndt Meinhold, Zur kosmologischen Dimension des Königs im Alten Testament (am Beispiel Salomos als Tempelbauer und Affenimporteur)
Der Text, der zur kosmologischen Dimension des davidischen Königs am geeignetsten erscheint und mit seiner Überschrift auch Salomo gewidmet ist (Ps 72), kommt hier nicht in Betracht, weil er zum einen nicht diesen oder einen speziellen, sondern jeden König auf dem Thron Davids meint, und weil er zum anderen das kosmologisch wichtige Ereignis des Tempelbaus nicht erwähnt, vom Fernhandel mit Affenimport ganz zu schweigen.
1Kön 3-11 // 2Chr 1-9 benennen jedoch u.a. diese Leistungen, die als Beispiele für die vertikale und die horizontale Erstreckung eines kosmologischen Koordinatensystems dienen können. Indem sowohl in Ps 72,10a als auch in 1Kön 10,22 // 2Chr 9,21 von Tarschisch die Rede ist, das im 10. Jh. noch keine Rolle gespielt hat, zeigt sich bereits die historische Fiktionalität dieses Konzepts. Vielmehr hat sich die Übertragung von Konturen eines Weltherrschers auf Salomo an Herrschergestalten der altorientalischen Umwelt orientiert, wie sie beispielsweise vor allem am Affenimport hervortritt. Die deuteronomistische Gestaltung von 1Kön 3-11 hat jedoch einen höchst kritischen Akzent an Salomo angebracht, den 2Chr 1-9 umgeht und der in Ps 72 ganz weggelassen wurde: sein Verfallen an Fremdgötterverehrung aufgrund des connubiums mit vornehmlich fremdländischen Frauen (1Kön 11,4-8). 1Kön 3-11 läßt durch die zweite Gotteserscheinung, die Salomo zuteil wird (1Kön 9,1-9), den König im vorhinein gewarnt sein. Sie stellt darüber hinaus die meisten seiner dann folgenden Aktivitäten (1Kön 9,10-11,13) unter den Vorbehalt, sich unabhängig von JHWH - und das heißt gegen ihn, analog zu einem negativ gemeinten altorientalischen Herrscherbild - Ansehen, Reichtum und Wohlleben zu verschaffen. Auf diese Weise wird selbst der davidische König mit den meisten zuerkannten, kosmologisch relevanten und altorientalisch gängigen Attributen nicht von scharfer theologischer Kritik ausgespart, wie sie im sonstigen Alten Orient dem König gegenüber unüblich war.

IV. Martin Arneth, Die Hiskiareform (2 Reg 18,3-8)
2 Reg 18,3-8 nimmt im Ranking der Berichte über königliche Reformen nach 2 Reg 23* unangefochten den zweiten Platz ein, bietet aber - folgt man etwa der Problemskizze von B. Stade, ZAW 6, 1886, 156ff. - ein umfängliches Set syntaktischer (man denke nur an die leidige Frage nach der Funktion des weqatal) und literarkritischer bzw. redaktionsgeschichtlicher Schwierigkeiten. Je nach literargeschichtlichem Urteil sind Großtheorien über die Genese des DtrG, des Enneateuch oder bescheidener: über die Entstehung der Königebücher mit betroffen. Zudem wird die Hiskiazeit religionsgeschichtlich (Stichwort: Opferzentralisation) als ein wichtiger Wegbereiter für die Ereignisse von 622 v. Chr. eingestuft. Nicht zuletzt der Ausmerzung des »unerfindlich« auf Mose zurückgeführten Nechuschtan wird in der Regel - im Verbund mit Num 21,4-9* - historisches Gewicht beigemessen.
Das Kurzreferat konzentriert sich im wesentlichen auf die Kompositionsanalyse des Abschnitts, durch die die Ansatzpunkte für die Annahme nachweisbaren literarischen Wachstums erheblich reduziert, im Gegenzug allerdings die Verwendung des sog. »Archivstils« bzw. die Funktion der weqatal-Sätze einigermaßen verständlich gemacht werden kann. Auf diesem Hintergrund ergeben sich dann auch einige Anhaltspunkte für die Bestimmung der Funktion des Mose in 2 Reg 18,4 - und (leider) auch die Einsicht, dass man 2 Reg 18,3-8 für die Rekonstruktion der Religionsgeschichte der Königszeit wohl besser nicht heranzieht.

V. David Wagner, Die königstheologische Konzeption der alttestamentlichen Erzählungen über König Saul im Spiegel der achämenidischen Herrschaftsideologie
Am Beispiel des ersten Monarchen Israels, König Saul, werden in 1 Sam 8 - 2 Sam 1 theologische Konzepte der Herrschaftslegitimation und -delegitimation in paradigmatischer Weise erörtert. Als theologische Leitlinien zur religiösen Legitimation und Delegitimation der Herrschaft Sauls zeigen sich die Gabe und der Entzug des Geistes JHWHs und die Unterstellung des Königs unter den Willen JHWHs (»Tora«). Die für die heutigen Samuelbücher konstitutive literarische Schicht aus der frühnachexilischen Zeit (z.B. 1 Sam 8*; 10,26-11,13*; 12,7-25*; 13,7b-15a; 15,1-35* und einige Bearbeitungen in 28,3-25) integriert ältere vorexilische Vorlagen (z.B. 1 Sam 9,1-10,25*; 11,14-12,6*; 16,14-23*; 18,6-16* und 28,3-25*). Jener »Verfasser der Samuelbücher« (VSam) aus der frühen persischen Epoche der Geschichte Israels läßt innerhalb seiner fiktional-narrativen Darstellung der Entstehung des Königtums enge Berührungen mit zeitgenössischen Konzepte der achämenidischen Königsideologie erkennen: Der Kyros-Zylinder kann wie die Saulgeschichte des VSam festhalten, daß eine Mißachtung des göttlichen Willens zur Delegitimation der Herrschaft durch Ablösung mit einem besseren König, den sich die Gottheit erwählt, führen kann. Den achämenidischen Königsinschriften (vgl. etwa Bisutun oder Naqs-i Rustam) und den Saulerzählungen ist die aus der altorientalischen Herrschaftsideologie aufgenommene Vorstellung von der göttlichen Erwählung des Monarchen gemeinsam. In Abgrenzung zu den herkömmlichen Königstraditionen zeigt sich nun in Israel wie in Persien eine deutliche Distanz zwischen dem König als Mensch und der Gottheit. Diese hat jedoch einen Einfluß auf den Monarchen durch die Ausstattung mit einem »Charisma«, welches die Taten des Königs zur Herstellung der Gerechtigkeit ermöglicht. Eine besondere Nähe zeigt sich auch in der Vorstellung von einem göttlichen »Gesetz« (»Daiva-Inschrift« Xerxes? I.), welches vom König unabhängig ist. Der Beginn der Monarchie in Israel an der Wende zum 1. Jahrtausend v.Chr. unter Saul und David ist für VSam die Analogie für seine gegenwärtige Situation in der Zeit zwischen 521 und 515 v.Chr. mit der - wenn auch letztlich unerfüllt gebliebenen - Hoffnung auf einen möglichen Neuanfang unter dem Davididen Serubbabel (vgl. Hag 2,23). Im Nachdenken über die Institution des Königtums in Israel schlugen sich also in den Samuelbüchern weniger Gedanken über das Scheitern der Monarchie nach dem Untergang Judas, sondern vielmehr Bemühungen um eine konzeptionelle theologische Grundlage für die Restauration des davidischen Königtums in frühnachexilischer Zeit nieder.
VI. Alexander Achilles Fischer, Das Großreich Davids zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Zur königsideologischen Funktion von II Samuel 8,1-14
In den klassischen Darstellungen der Geschichte Israels behauptet das Großreich Davids noch immer seinen Platz in der Reihe altorientalischer Großreichsbildungen. Zuletzt hat Abraham Malamat 1983 die Etappen seiner Entstehung eindrucksvoll nachgezeichnet. In der gegenwärtigen Debatte wird der Konsens freilich durch neuere Erkenntnisse in der Archäologie und durch literarhistorische Einsichten in Frage gestellt. Was nun noch vom Großreich Davids übrig bleibt, hängt am seidenen Faden der Kriegschronik in II Sam 8*. Darf man sie für einen originalen Auszug aus den Reichsannalen ansehen oder muß man sie zu einem Plagiat der späten Königszeit erklären? Ein Vergleich mit den neuassyrischen Kommemorativinschriften spricht wohl für ihre Nachbildung, zumal die in ihr gebotenen geschichtlichen Nachrichten eher die Situation des 8. Jh.s v. Chr. widerspiegeln. Das Referat möchte zeigen, daß sich der Grundbestand von II Sam 8* als ein Anspruchsdokument der davidischen Dynastie auf die Rechtsnachfolge des Nordreichs lesen läßt.

VII. Ernst-Joachim Waschke, Die Königsvorstellung nach den letzten Worten Davids (2 Samuel 23,1-5)
Die »letzten Worte Davids« (2Sam 23,1-7) stehen im Ablauf der Davidüberlieferung nicht an letzter Stelle, da sich in 1Kön 2,1-9 noch einmal Anweisungen Davids an seinen Sohn Salomo finden. Redaktionsgeschichtlich gehören sie zu einem in seinen Stücken chiastisch strukturierten Anhangsteil, durch den die Samuelbücher von den Königsbüchern abgetrennt worden sind, was einen weit fortgeschrittenen Prozess der Kanonisierung voraussetzt. Aber nicht nur diese redaktionsgeschichtliche Prämisse widerspricht der Zuordnung der »letzten Worte Davids« zu einer der deuteronomistischen Redaktionen, sondern auch die in diesem Text vertretene Königsvorstellung.
Die Königsvorstellung von 1Kön 2,1-9 ist in dem vordeuteronomistischen Grundtext (V. 5-9) auf ein Stadt- bzw. Regionalkönigtum begrenzt, das in der Herrschaftsübergabe zur Sicherung der Dynastie ausschließlich interne Probleme zu regeln hat. Die deuteronomistische Interpretation (V. 2-4) dieses Grundtextes stellt das davidische Königtum dann entsprechend der Forderung von Dtn 17,14-20 unter das Primat der Tora des Moses. Demgegenüber zeichnen die »letzten Worte Davids« (2Sam 23,1-7) einen König, der selbst Träger und Empfänger der göttlichen Offenbarung und Verheißung ist, die ihm auf Grund seiner »gerechten Herrschaft« zu teil geworden ist.
In dem Beitrag wird deshalb die These begründet, dass die einzelnen Aussagen von 2Sam 23,1-7, sofern eine Rückbindung an vorgegebene Texte wahrscheinlich gemacht werden kann, sich aus königstheologischen Texten herleiten lassen. Das schließt nicht aus, dass in diesem literarisch späten Gedicht sehr verschiedene Traditionen des Psalters, der Weisheit und der Prophetie mitschwingen. Aber die Grundprägung des Textes ist aus der Königstheologie gewonnen, und die »letzten Worte Davids« gehören damit zu einer späten Neubewertung Davids und seiner Verheißung, wie sie auch im Rahmen des Psalters und der Psalmen Salomos abzulesen ist.

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